Mo, 18.12.2006

Zeitzeugengespräch mit Gerhard Veidt auf dem Hansenberg

„Die Deutschen haben drei Eigenschaften, von denen aber nur zwei gleichzeitig auftreten: ehrlich, gescheit, Nazi.“

Nach Adolf Hitlers Machtergreifung erzählte man dies – wie sich Gerhard Veidt, ein Pfarrerssohn aus Frankfurt erinnert – vermeintlich humoristisch. Ein „Witz“, den man zwar nur hinter vorgehaltener Hand unter kritisch Eingestellten verbreitete, der aber mehr als nur zum Nachdenken anregt, legt er doch den Rückschluss nahe, dass damalige Zeitgenossen entweder dumm, ehrlich und Nazi, clever, unehrlich und Nazi oder aber intelligent, ehrlich und kein Nazi waren.

War dem wirklich so? Veidts Beschreibung einiger Pädagogen seiner ehemaligen Schule, des Frankfurter Lessing-Gymnasiums, scheint diese Aussagen zunächst zu unterstützen. Im Zeitzeugen-Gespräche mit Elfklässlern der Internatsschule Schloss Hansenberg berichtet der 80-jährige auf der einen Seite von einem nationalsozialistischen Mathematiklehrer, der noch nicht einmal in der Lage war, mit Hilfe des Lösungsheftes den Rechenfehler an der Tafel zu finden, auf der anderen von einem Deutschlehrer, der die Schüler einen Aufsatz darüber schreiben ließ, warum der nationalsozialistische Propagandafilm „Ich klage an“ nicht der Wirklichkeit entspräche. Eine Hausarbeit, in der Gerhard Veidt, ganz nebenbei – wie er nicht ohne Amüsement einschiebt – eine eins schrieb, ohne den Film je gesehen zu haben – eine große Leistung, in einer doch bis ins kleinste Detail nationalsozialistisch-geprägten Gesellschaft.

Doch woher nahm ein kleiner Junge diese Erkenntnisse? Gerhard Veidt, der später selbst den Beruf des Lehrers ergriff, gibt offen zu, dass er den Nazis zunächst mit wohlwollender Neugierde gegenüberstand, doch da – wie er augenzwinkernd formuliert – „der Mensch ein Lernwesen ist“ ließen ihn die Pogrome von 1938 nicht unbeeindruckt. Ein Fakt, in dem der Pensionär heute seinen persönlichen Wendepunkt sieht. Mitverantwortlich für seine ab da antinationalistische Sichtweise macht er vor allem drei Fakten: Als erstes benennt er das „politisch wache, antinationale Elternhaus“. Einen Vater, der zweimal auf Grund seiner Einstellung zu den Machthabern inhaftiert wurde und Redeverbot erhielt sowie eine Mutter, die ebenfalls zur Gestapo beordert wurde, weil sie „Gräuelpropaganda“ ins Ausland verschickte haben sollte. In der Tat hatte es sich dabei lediglich um einen Brief an die norwegische Freundin gehandelt, in dem sie Vandalismus einiger Nazis schilderte, unter dem ihre Familie zu leiden hatte.

Als nächste Komponente benennt Veidt die von Geburt an vorhandene Gehbehinderung, die verhinderte, dass er weder Pimpf noch später Flaghelfer oder auch Soldat werden konnte. Hinzu kam die Prägung durch seinen damaligen Klassenlehrer Otto Schuhmann, der sogar nachts zu den Flaghelfern ging und diese als „Mörder“ und „Verbrecher“ beschimpfte. Ob nun besagter Pädagoge letztendlich den Anstoß für den in der Main-Metropole Aufgewachsenen gab, selbst Lehrer zu werden, lässt dieser nicht durchblicken. Die Wahl eines seiner Fächer – er unterrichtete unter anderem Biologie – erscheint jedoch als ein weiteres Indiz dafür, dass Veidt dem Gedankengut der NS-Zeit damals wie jetzt konsequent entgegensteuert. „Es gibt keinen größeren Unsinn als die Rassenlehre, denn die Menschen sind die schönsten Mischlinge überhaupt“, lautet sein emotionsgeladener Appell an die Hansenberg-Schüler, dem er abschließend ein wohlwollend mahnendes „Bitte wachsam sein!“ hinzufügt.

Aber: Gab es denn nun – um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen – damals Deutsche, die sowohl ehrlich, gescheit und Nazis waren? Für unseren Zeitzeugen existierte nur einer, der interessanter Weise ebenfalls Lehrer war und seiner Meinung nach aus reinem Opportunismus handelte – bestätigt jedoch nicht auch hier die Ausnahme die Regel?