So, 25.11.2007

Zeitzeugen-Gespräch zur NS-Zeit mit Frau Gerti Meyer-Jørgensen und Herrn Paul Meyer im Rahmen des Studientages

Am 26. November 2007 erwartete uns ein weiteres Highlight am Hansenberg. Das Zeitzeugen Gespräch mit Gerti Meyer Jørgensen und ihrem Mann Paul Meyer stand an. Nachdem einige bereits im Voraus den Film „Hier sind meine Wurzeln…“ zum Leben und Denken der Zeitzeugin Meyer-Jørgensen“ gesehen hatten, saßen wir gespannt im geradezu überfüllten Klassenraum der Klasse 11 b. Schnell baute sich zwischen der lebhaften und humorvollen Seniorin und uns Schülern eine Vertrauen schenkende Beziehung auf, die uns kaum glauben ließ, dass alles, was sie uns erzählte, tatsächlich ihr auch vor über 60–70 Jahren passiert war. Denn ansehen konnte man ihr das durchgemachte Leiden nicht.

Geboren 1918 wuchs Gertie Meyer-Jørgensen als Tochter der recht bekannten, angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie Salomon in Mainz auf. Sie besuchte eine Privatschule, musste uns aber gestehen, dass sie nie besonders gute Leistungen in der Schule erzielt hatte. So schmerzte es sie also vorerst nicht allzu sehr als sie im Jahre 1933 mit 15 Jahren vom Schulbesuch ausgeschlossen wurde. Doch nicht alles konnte so positiv betrachtet werden. Ihr Vater verlor 1935 das Schuhgeschäft und die Familie begann darüber nachzudenken Deutschland zu verlassen. „Innerhalb von 24 Stunden hat sich am 30 1. 1933 mein Leben komplett verändert.“ Daran erkannten wir, dass die flapsige Bemerkung zur „frohen Entlassung aus der Schule“ doch sehr schmerzhaft gewesen sein muss!

Mit zunehmender Angst vor Deportation suchte die Familie nach Möglichkeiten auszuwandern. 1939 gelang es Frau Meyer-Jørgensen auf illegalem Wege ein Transfervisum für Honduras zu erhalten. Dies sollte ihr die Möglichkeit bieten auch ein Visum für andere Länder zu erhalten, jedoch flog der Plan auf und sie wurde von der Gestapo verhaftet. Im Gefängnis verliebte sich zu ihrem Glück ein SA-Mann in sie. „Goebbels in Schön“, wie Frau Meyer-Jørgensen ihn beschrieb, sorgte für ein wenig Essen und dafür, dass sie nicht sofort nach ihrer Entlassung deportiert wurde. Gerade einmal sieben Tage hatte er ihr verschaffen können indem er unauffällig die Entlassungspapiere „im Klo runter spülte. Das war sehr mutig von ihm!“. So suchte die Familie also erneut nach einem Visum für die mittlerweile 20 Jahre alte Gerti. Der Mutter gelang es ein Visum für Shanghai zu organisieren, doch es fehlte noch eins für die Reise durch Russland. Doch wieder einmal hatte sie Glück. Ein fremder Mann erhielt tatsächlich am nächsten Tag das lebenswichtige Visum für sie.

So konnte Gertie am darauf folgenden Tag mit einem Köfferchen und drei Dollar ihre Reise über Berlin, Königsberg, Warschau, Moskau nach Shanghai antreten. Gerti war gerettet, aber ihre Mutter sah sie nie wieder. Denn sie wurde kurz darauf nach Treblinka deportiert. Der Vater hatte sich bereits 1939 mit Zyankali vergiftet. „Weil er Deutscher war, wollte er das Land nicht verlassen“. Die Großmutter vergiftete sich 1940 in der Wiesbadener Wohnung. „Sie hat eine sehr große, würdevolle Zeremonie daraus gemacht“, erklärte Frau Meyer-Jørgensen mit einem traurigen und ernsten Gesichtsausdruck.

In Shanghai im Ghetto lernte sie 1943 ihren ersten Ehemann kennen, den sie aber schon bald wieder verließ. „Er war nicht der richtige und beklaut hat er mich gegen Ende auch.“Als staatenloser Flüchtling gelang sie 1947 nach Macao und von dort wiederum nach Hongkong, wo sie einen Norweger heiratete, um an einen Pass zu kommen. Mit Herrn Jørgensen lebte sie bis 1949 zusammen, doch war auch dieser „leider nicht der Richtige“. Ihr Weg führte sie nach Süd Afrika mitten in die Apartheid, wo sie ihren dritten Mann heiratete. Dieser verstarb aber früh und so zog Frau Meyer-Jørgensen weiter nach England.

1959 begann sie in England ihr Studium für Psychotherapie und lernte ihren letzten Ehemann Paul Meyer kennen. Gemeinsam entschieden sie sich nach all den Jahren zurück nach Deutschland zu reisen, „zurück zu meinen Wurzeln“. Allerdings wollte sie nur ihre Heimatstadt Mainz und deren Umgebung besuchen, „der Rest interessiert mich nicht“.

Heute lebt Frau Meyer-Jørgensen mit ihrem Mann in Wiesbaden und arbeitet gemeinsam mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und dem Wiesbadener Verein Aktives Museum e. V. daran, Jugendlichen die Geschichte des 3. Reiches näher zu bringen. Doch ihre Lebensweisheiten waren für uns fast noch lehrreicher und aussagekräftiger. Und wie Frau Meyer-Jørgensen am Ende so schön sagte: „Einen Tipp will ich euch noch mit auf den Weg geben: Lernt! Vor allem wie man mit Menschen umgeht! Sonst kommt ihr im Leben nicht weiter.“