Do, 01.10.2009

„Wenn jemand gegen die Wand laufen will, dann soll er das machen“ Mit Landtagspräsident Norbert Kartmann im Gespräch über Bildungspolitik

„Ich hole Sie dann kurz nach elf wieder ab“, ruft Schulleiter Wolfgang Herbst dem Präsidenten des hessischen Landtags, Norbert Kartmann, noch zu, ehe er im Türrahmen verschwindet. Der zweite Mann hinter Ministerpräsident Roland Koch hatte die Schule bereits im Laufe des Vormittags des 2. Oktobers erkundet und sich im Anschluss daran nun dazu bereit erklärt, mit einigen Schülerinnen und Schülern, Leo Kauter, dem Fachbereichsleiter für Gesellschaftswissenschaften, und Bianca Schwindt, der Personalratsvorsitzenden, über die aktuelle Bildungspolitik zu sprechen.

Kauter bekundet seine Freude darüber, den „Chef der Legislative“ begrüßen zu dürfen, schließlich bringt dieser nicht nur knapp 40 Jahre Erfahrung in der Politik mit, sondern erweist sich als ehemaliger Lehrer für evangelische Theologie und Physik auch als echter Insider im Bildungswesen.

Zu Anfang der Diskussion möchte Kartmann noch wissen, weshalb die anwesenden Schüler, wie es bereits in der kurzen Vorstellungsrunde angeklungen war, fast geschlossen beabsichtigen, außerhalb des Landes Hessen zu studieren. Dass dies primär mit dem Wunsch, fernab von zu Hause Neues zu erfahren, zusammen hängt, beruhigt ihn. Sicherlich weisen Hansenberger in dieser Hinsicht auch einen weiteren Horizont auf. „Ab in die Welt!“ fordert er die Schüler auf. „Mir selbst ist das nicht vergönnt gewesen.“

Der CDU-Politiker bedauert die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen. Sie seien unbedingt nötig, nicht zuletzt, da den Studenten durch den von ihnen gezahlten Geldbetrag Anspruch und somit Sicherheit auf Leistungen seitens ihrer Universität gewährleistet worden wäre. Hochschulen dürften nicht zu sich abschottenden Systemen werden. Als Vater zweier Studenten sehe Kartmann, wie inhuman an Universitäten teilweise mit den jungen Leuten verfahren werde, Leistungsverweigerung der Professoren sei leider zunehmend an der Tagesordnung. „Für unsere Studiengebühren hatten wir leider keine Mehrheit. Wenn jemand gegen die Wand laufen will, soll er das eben machen.“ Kartmanns Meinung nach waren die hessischen Studiengebühren deutschlandweit die besten und sozialsten. 500€ pro Semester, die man sogar über günstige KfW-Studienkredite hätte finanzieren können, seien kein hoher Preis für das im Gegenzug erhaltene Druckmittel. Eine Akademiker-Steuer mit unbegrenzten Zahlungen oder gar eine allgemeine Steuererhöhung wünsche sich schließlich auch niemand und irgendwoher müsse das Geld ja kommen. „Die Besten in unserer Gesellschaft kommen in jedem System durch“, doch mit den Besten ist noch lange nicht an alle gedacht.

Angesprochen auf den Lehrermangel verweist Kartmann darauf, dass bei einem Mangel an Fachkräften (Naturwissenschaften, Sprachen) nur von punktuellen Versorgungsengpässen – nicht etwa von Mangel – zu sprechen sei. Rein statistisch benötige Hessen auf Grund von weniger Schülern sogar eine geringere Zahl von Lehrern. Kurzfristige krankheitsbedingte Ausfälle innerhalb des Lehrkörpers seien natürlich nie mit neuem Personal auszugleichen. Auch drehe sich ihm der Magen um – so Kartmann wörtlich – versuche man ihm weiszumachen, dass Unterricht nur mit ausgebildeten Lehrkräften stattfinden könne.

Hinsichtlich des Personals sei eine künftige Verknüpfung der einzelnen Bundesländer nötig, die mehr als den auf Eitelkeit basierenden Austausch von Fachkräften erlaube. Als Hessen vor einigen Jahren einmal auf einen Schlag 3000 Lehrer benötigte, habe man bei den Nachbarländern „klauen“ müssen und sogar bis ins Hochland von Mexiko telefoniert, nur um von dort noch eine einzige Lehrkraft ins Land zu holen. Jedes Land habe seine Reserven, auch wenn es um Ämter gehe – wenn es auch eine Reserve von Arbeitslosen ist. Trotzdem spricht Kartmann sich weiterhin für eine föderalistische Regelung der Bildungspolitik aus. Um Schul- und Universitätsbetrieb zu regeln sei die Entfernung Berlin – Rüdesheim schlichtweg zu groß. Kartmann kann sich sichtlich für Bildungspolitik begeistern und so kommt es nicht von ungefähr, wenn er stolz sagt: „Ich kämpfe für den Beruf des Lehrers, ich habe immer dazu gestanden.“ Dass nicht nur exzellente Lehrkräfte in hessischen Schulen tätig seien, ist ihm dennoch bewusst. „Wir sind nicht unersetzbar“ Lehrer brächten Schülern Inhalte nicht zwingend besser bei als „Laien“.

Trotz der kleinen Wehmutstropfen sieht Kartmann die hessische Bildungspolitik jedoch auf einem guten Weg, auch im internationalen Vergleich. Zentralabitur, die Vergleichbarkeit aller Schulsysteme (also auch Haupt- und Realschulabschluss), die Vorraussetzung deutsch sprechen zu können, um am Unterricht teilzunehmen, Vergleichsarbeiten in der vierten und achten Klasse seien nur einige positive Beispiele für die ergriffenen Maßnahmen. Nur mit Vergleichbarkeit könne man sich dem nationalen sowie internationalen Wettbewerb stellen. Das Bildungssystem habe sich binnen der letzten zehn Jahre stetig verbessert, obwohl die Auswirkungen oft nur minimal zu sehen seien.

Die Schüler fordert er auf, sich nicht so sehr zu sorgen. Der „Hansenberg-Stempel“ öffne einem viele Türen und überall würde man „mit Kusshand genommen“ – die Trefflichkeit dieser Aussage darf zuweilen jedoch wohl in Frage gestellt werden. Zum Schluss des Gesprächs macht Kauter noch einmal deutlich, was alle denken: „Politische Praxis erleben ist immer ein Gewinn für alle.“