Di, 14.08.2012

Vortrag von Prof.Dr.Dr. Christian Wenzel (National Taiwan University): „Bestimmt die Sprache unser Denken? – Am Beispiel des Chinesischen“

Sprache ist Schall und Rauch?

Was ist Sprache? Was bedeutet Sprache für uns? & Gibt es einen Zusammenhang zwischen Sprache und Wahrnehmung? Christian Wenzel versprach den heutig Versammelten mehrere Themen gleichzeitig anzusprechen, miteinander zu verknüpfen und zu verweben, kurzfristig zu verwirren, zu ordnen und schlussendlich zu eigenem Denken anzuregen und gibt so einen faszinierenden Einblick in die Welt seiner Arbeit als Professor an der National Taiwan University.

Von Anfang an macht Dr. Wenzeln klar, seiner Meinung nach sei an der Sapir-Whorf-These, welche besagt, dass Sprache unserer Denken und unsere Kultur beeinflusse, „auf jeden Fall etwas dran”. Was es jedoch zu einem so schwierigen und komplexen Thema mache, sei schon das Problem die Frage spezifisch zu formulieren. Ist Sprache nicht ein Teil unserer Kultur? Und was ist Denken überhaupt?

Prof. Dr. Dr. Christian Wenzel bekennt, dass sich daran schon viele kluge Menschen den Kopf zerbrochen haben, doch auch sie seien nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Er konzentriert sich deswegen auf die Frage der Wahrnehmung als ein entscheidender Teil unseres Denkens. So sehe jeder die Welt etwas anders auf Grund anderer Wahrnehmung, welche durch Erfahrungen, aber AUCH, so Wenzel, durch die Muttersprache beeinflusst würde.

Zu erklären versucht Herr Wenzel dies anhand eines Beispiels von Raum und Zeit. Einen Raum, das kann sich jeder Vorstellen. Doch was ist Zeit? Zeit ist abstrakter als Raum, weswegen wir häufig räumliche Metaphern verwenden, um Zeit zu beschreiben. Wer sagt nicht:
Bevor wir was getan haben…
Das Schlimmste liegt hinter uns oder aber
Das Schlimmste liegt vor uns?

In der deutschen Sprache werden Begriffe, die die vertikale Bewegung im Raum beschreiben, verwendet, um die Bewegung in der Zeit zu umschreiben. Chinesen machen das nicht: Sie umschreiben die Zeit mit horizontalen Bewegungen. Für sie ist etwas „oben“ oder „unten“, was für uns „vor“ oder „danach“ ist.

Experimente haben nun gezeigt, das Chinesen schneller als Europäer Daten einordnen können, wenn sie Dinge auf einem Bildschirm sehen, die sich horizontal bewegen, während Europäer Daten schneller einordnen können als Chinesen, wenn sich Dinge auf einem Bildschirm vertikal bewegen. Das erstaunliche ist, wenn man Europäer „umtrainiere“ Zeit mir horizontalen Begriffen zu beschreiben, ändert sich das Ergebnis. Herr Wenzel erklärt dies dadurch, dass durch die Bewegungen Wortfelder angeregt würden, die die Wahrnehmung scheinbar beeinflussen.

Die Tatsache, dass die chinesische Sprache von Grund auf anders sei als die Deutsche oder andere europäische Sprachen (sie sei im Kern monosyllabisch, die Schriftzeichen seien isoliert und es gibt keine Flexionen, keine Morphologie), habe Auswirkungen auf die chinesische Wahrnehmung und somit indirekt auf ihre Kultur und ihr Weltbild. Das Chinesische sei weniger eindeutig als unsere europäischen Sprachen und oft nur im Kontext zu verstehen. Das sei der Grund warum Chinesen kontextsensibler seien als Europäer. Wenn ein Europäer auf ein Bild mit einem großen Gegenstand schaut, so merke er sich den Gegenstand. Chinesen würden jedoch viel mehr auch auf den Hintergrund achten. Chinesen hingegen fehle ein Teil der Logik, die Herr Wenzel mit strukturiertem Aufbau deutscher, lateinischer oder griechischer Grammatik verbindet.

Herr Wenzel ist überzeugt, dass es Sprache unsere Wahrnehmung beeinflussen kann. Egal wie weit man dieser These zustimmt, der Abend hat unter den Schülern zu lebendigen Diskussionen geführt. Schlussendlich konnte man sich jedoch darauf einigen, dass man durch Erlernen von neuen Sprachen seinen Horizont erweitert, wenn auch vielleicht nur durch neue Eindrücke von anderen Kulturen.