Mi, 21.09.2011

Vortrag von Prof. Andreas Röder (Uni Mainz): „Wertewandel im geteilten und vereinten Deutschland“

Werteverfall, ein Wort das bestimmt jeder schon einmal im Zusammenhang mit dem altbekannten Spruch „Früher war alles besser“ von einem seiner älteren Mitbürger gehört hat.

Mit diesem Thema unter anderem beschäftigte sich am Donnerstag den 23. 09. 11 Prof. Andreas Röder von der Uni Mainz in seinem abendlichen Vortrag über den Wertewandel im geteilten und vereinten Deutschland hier am Hansenberg.

Wie genau lassen sich diese Werte eigentlich definieren? Röder definierte sie als grundlegende Orientierung für das Denken und Handeln, die auf allen Ebenen als verbindlich angesehen wird, unabhängig davon, ob sie explizit oder implizit genannt werden. Der erste Werteschub sei zwischen `65 und`75 vermerkt worden, als ein Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Freiheits- und Selbstbestimmungswerten vollzogen worden ist. In diesem gesellschaftlichen Wandel ist das Zentrum die private Lebensform. Die meisten Leute waren verheiratet und hatten mehrere Kinder. Kennen wir das heute nicht anders? Aufgewachsen in einer Welt, in der es verheiratete Paare mit oder ohne Kinder, unverheiratete Paare mit und ohne Kinder, homosexuelle Paare, Alleinerziehende gibt, scheint dieses Konzept für uns eher selten.

Doch dadurch wandelte sich nicht nur die Einstellung zum Kinderkriegen: Früher hatte man höchstens ungewollt keine Kinder und viele Partnerschaften heutzutage sind wiederum ungewollt kinderlos. Auch der Umgang mit Kindern hat sich verändert. Kindererziehung, die damals durch Autorität und Pflichtbewusstsein geprägt war, hat sich viel mehr dahin gehend entwickelt, dass die Eltern mehr Empathie und eine stärkere Bindung zu ihren Zöglingen pflegen.

Auch die Sexualmoral hat sich verändert, und zwar durch die Tatsache, dass Sex nicht mehr mit der Ehe verbunden sein musste. Die immer unwichtigere Funktion der Ehe trug auch zur Einflussabnahme der Kirche bei, deren Besuch von der Norm zur Privatangelegenheit wurde.

Was aber zunahm, war der Wert, den die Menschen auf ihre Freizeit legten, weshalb sie passender weise auch als ‚Erlebnisgesellschaft‘ bezeichnet werden. Nebenbei entwickelte sich der Markt weiter und die Menschen konnten nicht mehr nur das kaufen, was zur existenziellen Grundlage diente, sondern viel mehr hatten sie nun eine Auswahl der verschiedensten Konsumgüter, was ebenfalls zur Individualisierung beitrug.

Doch inwieweit war dieser Wandel auch in der DDR zu erkennen?

Man könnte glauben, durch den eingeschränkten Konsum und dem Abschluss vom Westen, hatte es keinen Wandel gegeben. Doch in Wahrheit hat sich ein, dem Westen ähnlicher Wandel, teilweise verzögert, ebenfalls ergeben. Niemand hat jedoch darüber geredet, da dieser Wandel den Wahrheitsanspruch der Partei in Frage gestellt hat und sich gegen die Devise ‚das Kollektiv ist wichtiger als das Individuum‘ entwickelte. Röder beschrieb diesen Modernisierungsprozess der Bevölkerung und der Modernisierungs-verhinderung der Partei als einen Zustand der Zwischenmoderne. Der Wandel im Osten unterschied sich allerdings doch in einigen Punkten von dem im Westen. So ist z. B. die Familie noch wichtiger und die Arbeit wurde höher geschätzt im Osten als im Westen.Als dann Deutschland 1990wiedervereint wurde, bezeichnete Andreas Röder diesen Prozess als ‚Freiheitsschock‘ für den Osten, denn er gelangte aus seiner zwischenmoderne in eine postmoderne Zeit, die durch Globalisierung, eine freie Marktwirtschaft und neue Technologien bestimmt wurde.

Noch heute seien Differenzen der Werte zwischen Ost und West festzustellen, und eine ‚innere Einheit‘ herzustellen, falle Deutschland immer noch schwer. Seit den 90ern sei jedoch festzustellen, dass die Menschen mehr Wert auf Sicherheit und Bildung legen.

Röder meinte jedoch weiterhin, dass in der postmodernen Welt zwar ‚alles möglich, aber nichts gewiss‘ sei, was daher kommt, dass die Menschen weniger langfristige Bindungen eingehen und öfter enttäuscht werden und die Gewissheit im Leben eines Menschen durch den Wandel zerschlagen wurde.

Rückblickend auf unsere Frage am Anfang lässt sich also sagen, dass es womöglich einen Werteverfall gab, aber gleichermaßen einen Wertezuwachs, wie z. B. die Menschenrechte.