Mi, 18.11.2009

Vortrag von Philosophie-Professor Dr. Richard Raatzsch (EBS): „Ein kleiner Versuch über den Sinn des Lebens“

„Heute ist der Tag der Toilette.“ Mit diesem Statement von Herrn Kauter begann der heutige Vortragsabend. Wer denkt, dieses Bild spiegle den Abend wider, der ist zum Glück auf der falschen Spur: Das Thema „Sinn des Lebens“ birgt viele spannende Verbindungen in sich und verlangt deduktive Arbeit von jedem Zuhörer. Denn, angeleitet von Herrn Raatzsch, Professor für Philosophie an der European Business School, sollte sich jeder im Publikum aktiv an der Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens beteiligen!

Man stelle sich einen Bettler vor, arm, hungernd, verwahrlost, alt und frierend. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er sich fragt, warum er überhaupt lebt. Und dann stelle man sich einen russischen Adeligen vor, der alles Materielle besitzt, was ein einzelner Mensch haben kann. Und trotzdem stellt er sich dieselbe Frage wie der Bettler. Anhand dieser Beobachtung kann man feststellen, dass es sich hier um eine besondere Frage handelt, die folglich auch einer besonderen Antwort bedarf. Einer besonderen Antwort, keiner irrationalen Antwort!Als Vergleich diente hier die Frage: Was ist hinter dem Ende des Universums? Dies ist eine irrationale Frage, denn hinter einem Ende ist nichts, denn es ist das Ende! Auf die Frage nach dem Sinn des Lebens muss es also eine Antwort geben. Um diese Antwort zu finden, verlangte Herr Raatzsch von uns, einfach ein paar Antworten in den Raum zu werfen und sie auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Eine beliebte Antwort war, ein gottgefälliges Leben zu führen und darin seinen persönlichen Sinn des Lebens zu finden, doch auch dies reichte nach den Prämissen der Vernunft und der Logik nicht zur Beantwortung der Frage aus. Wir kamen zu keiner Antwort, der russische Adelige, Leo Tolstoi, in seinem Buch „Die Beichte“ anscheinend aber schon. Denn das Buch endet abrupt, ohne klares Ende und vor allem ohne Antwort auf die weiterhin bestehende Frage. Also muss man sich fragen, da Tolstoi die Antwort offensichtlich gefunden hatte, warum er sie uns nicht mitteilt? „Der Grund liegt darin, dass für ihn die Frage nicht mehr bestand! Also kann er auch keine Antwort mehr geben.“, verkündete Professor Raatzsch den gleichzeitig angestrengten und verblüfften Gesichtern im Publikum. Die Auflösung dessen ist simpel, aber auf den ersten Blick unglaublich: Ein Kind stellt gerne Fragen, denn es möchte mehr über etwas erfahren. Weiß das Kind schon über etwas bescheid, dann wird es die Frage nicht stellen. Genauso ist es mit dem Sinn des Lebens, was eigentlich das ganze Geheimnis ist: Es kann nur eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben, wenn die Frage wirklich ernsthaft gestellt ist. Sollte der Fragende dieses Wissen aber schon haben, dann kann er die Frage danach nicht mehr ernsthaft stellen, es existiert also keine Antwort. Um also wirklich auf die Frage antworten zu können, bedarf es paradoxerweise dem Unverständnis der Frage! Das bedeutet, die Frage nach dem Sinn des Lebens ist für jeden Einzelnen individuell zu definieren.

Tosender Applaus schallte am Ende des Vortrags durch den Schlegel-Raum. Allerdings waren auch ein paar ungläubige Gesichter darunter, zum einen erschöpft von der anstrengenden Verfolgung der Argumentationskette während des Vortrags, zum anderen wegen des simplen, und doch kompliziert zu begreifenden Ergebnisses. Dieser Vortrag macht allerdings Lust auf mehr: Dies war der Anfang einer Vortragsreihe von Professoren der EBS aus Oestrich-Winkel, die in Vorträge über die verschiedensten Themen halten werden. Wir, die Schülerschaft und die Lehrer, bedanken uns schon einmal von ganzem Herzen bei Professor Raatzsch für diesen spannenden Vortrag und freuen uns auf die darauf folgenden Abende!