Mo, 15.12.2008

Vortrag des NS-Zeitzeugen Samuel Mandelbaum an der ISH

 

Aufregendes Zeitzeugengespräch mit Samuel Mandelbaum

„Ah, hat das gut getan, dass wir wieder eine Würde haben, dass wir wieder Menschen sind!“. So gelebt aufatmend konnten wir bei einem aufregenden Zeitzeugengespräch mitfühlen, wie sich Samuel Mandelbaum zu dieser Zeit im Mai 1945 gefühlt haben muss. Er war endlich aus dem KZ befreit und konnte zum ersten Male wieder in Freiheit eine jüdische Messzeremonie feiern.

Und hier ist die Geschichte, mit der uns der heute über 80-Jährige Samuel Mandelbaum als Zeitzeuge der NS-Verfolgung lebhaft und persönlich packte (für seine zuhörende Frau und uns vom Hansenberg durchaus auch emotional – bis hin zu Tränen).

Samuel Mandelbaum wird im Jahre 1928 in Polen, in einem kleinen Ort zwischen Krakau und Kattowitz geboren. Seine orthodox-religiösen, chassidischen Eltern hatten 7 Kinder. Nach einer sehr behüteten Kindheit ändert sich ab dem 1. Sept. 1939, dem Einmarsch der Deutschen in Polen, das Leben radikal. „Zwei Tage nach dem Beginn des Krieges waren die Nazis schon in unserer Stadt.“ Seit Nov. 1939 müssen alle Juden den „Judenstern“ tragen, die Verfolgungen und Deportationen beginnen.

Seine Brüder Samuel und Roman z. B. müssen als Zwangsarbeiter im Programm „Vernichtung durch Arbeit“ in einer Wagonfabrik bei Görlitz arbeiten, werden später ins KZ Burmag deportiert und im Febr. 1945 zu einem der berüchtigten „Todesmärsche nach Westen“ gezwungen. Später müssen sie zurück ins KZ Bunawitz, wo sie am 8. Mai 1945 die Befreiung durch Russen, extrem geschwächt, im Alter von 17 und 22 Jahren erleben.

Die „Befreiten“ aber befiel nach dem 8. Mai 1945 eine Große Trauer: Wer lebt noch von der Familie? Was war geschehen? Wie soll es weiter gehen?

Aufgrund einer Begegnung mit einem russisch-jüdischen Offizier der Sowjetarmee, Coppel Birkenblick, und nach einer gemeinsamen Shabbatfeier, folgen die Mandelbaums seiner Empfehlung, nach Westen zu gehen, da es keine „jüdische“ Zukunft bei den Sowjets gebe. „Kinder, geht hier weg, bleibt nicht hier!“ sagte der Offizier der Sowjetarmee deutlich.

Die 4 überlebenden Mandelbaums gehen nach Berlin, dann nach Wiesbaden, wo sie als so genannte „DPs“, also „displaced persons“, Menschen ohne Heimat, eine Unterkunft am Kaiser-Friedrich Ring durch eine jüdische Hilfsorganisation bekamen. Sie waren schwach, arm, aber frei.

In Wiesbaden begann der „Wiederbeginn unseres jüdischen Lebens in der Synagoge Friedrichstraße“. In Gottesdiensten mit amerikanischen Armeeangehörigen, in einer normalen, friedlichen Welt, mit normalen freien Juden und Deutschen, begannen sie ein neues Leben. Mit Stolz, aber auch tiefer Trauer, und Hoffnung auf den Wiederbeginn eines „zweiten Lebens“. Die jüdische Gemeinde in Wiesbaden war „wie von den Toten auferstanden“.

Was war in der Zeit zwischen 1939 und 1945 geschehen? Bis auf 4 Überlebende waren alle Mitglieder der großen Verwandtschaft „weg“. Oft sinnierte Samuel Mandelbaum in den Jahren 1945–1950 über die Frage: „Was tun? Wie weiter leben?“ Samuel fehlten 7 Jahre Schule (mit 11 Jahren war Schluss), die Lebensmittel waren streng rationiert, die wichtigste Frage aber war: Gehen oder bleiben?

Die meisten deutschen Juden wollten nicht in Deutschland bleiben, sondern auswandern, nach USA, Palästina, aber strenge Einwanderungs-Quoten verhinderten diesen Weg.

Die 4 Mandelbaums aber warteten nicht, sondern handelten und fanden eine eigene Art des „neuen Nebeneinanderlebens mit den Deutschen“. Und wir Hansenberger sind am Ende der 2 Stunden „lebende und lebhafte Geschichte“ sehr dankbar dafür!