Mo, 04.06.2018

Präsentieren & Gewinnen: Siegerteam "Strukturwandel im Bäckerhandwerk" diskutiert mit Wissenschaft, Handwerk, Politik, Presse.

Spannende Recherchen, überraschende Ergebnisse. Das erlebt man bei „Präsentieren & Gewinnen“, denn es ist ein spannender, rechercheorientierter, regionaler Wirtschaftswettbewerb des VhU (Verband der hessischen Unternehmer) und der Frankfurter Rundschau. Und er bietet viele Freiräume zur Entfaltung von Motivation, Analysen und eigener Intuition. Ein dreiköpfiges Mädchenteam aus der Jahrgangsstufe Q2 war dabei und – hat gesiegt!

Bei frischen Brötchen sagten die Kunden in den Umfragen des Teams seien ihnen Qualität und Frische am wichtigsten – weit vor dem Preis. Die Wahrheit aber sieht anders aus. Das war eines der überraschenden Ergebnisse, das die drei Schülerinnen beim Schülerforum „Präsentieren & Gewinnen“ mit vielen eingeladenen Gästen am Montag, dem 4. Juni vorstellten. Mit ihrer Analyse hatten sie davor schon die Jury überzeugt, aber lösten unter den Zuschauern am Hansenberg eine lebhafte Diskussion über Globalisierung, Strukturwandel, Preisdruck, Wettbewerb und die „Illusionen des Kunden“ aus.

Helena Averdung (18), Lea Rosenbauer (17) und Chiara Rummelsberger (17) beschäftigten sich mit dem anspruchsvollen Thema „Globalisierung und Strukturwandel im Bäckerhandwerk“. Dabei bezogen sie sich auf den Rheingau als Beispielregion. Martin und Stefan Dries vom hier ansässigen Backhaus standen den Schülerinnen für ihr Projekt Rede und Antwort. Sie zeigten sich selbst überrascht und dankten den dreien: „Es ist schön, dass ihr das Bäckerhandwerk so ins Gespräch bringt. Und ja, es ist nicht einfach im Handwerk heute!“

Den Wettbewerb für Oberstufenschüler richten die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), die Landesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft und die Frankfurter Rundschau gemeinsam aus. Schüler für aktuelle wirtschaftliche Themen zu interessieren – das ist Ziel des Wettbewerbs „Präsentieren & Gewinnen“. Hansenberger Teams nehmen regelmäßig teil und gewannen den Preis zuletzt in den Jahren 2015 (Thema „Integration Behinderter am Arbeitsmarkt“) und 2016 (Thema „Ökoweinbau und regionale Vermarktung“).

Die frohe Nachricht über den Sieg kam am 2. Mai. Das Team Helena Averdung, Lea Rosenbauer und Chiara Rummelsberger hatte den 1. Platz errungen. Die Ehrung folgte in zwei Teilen: dem ersten informellen Teil am 16. Mai in den Räumen der Rundschau iin Frankfurt. Dieses Treffen diente mehr dem Kennenlernen und als Fototermin für die Presse. Beim zweiten formellen Teil der Siegerehrung am 4. Juni, 14 – 15.30 Uhr als offizielles Schülerforum am Hansenberg mit prominenten Gästen aus Politik, Handwerk und Wirtschaft, wurde das Thema präsentiert und mit den Experten diskutiert. Die Laudatio hielt Tilman Wittershagen, Sprecher der Geschäftsleitung der Deutsche Bank Frankfurt.

„Die Bäckerei grenzt sich vom Backshop durch den Bäckermeister ab. Eigenherstellung statt Aufbacken. Die Prinzipien sind Qualität und Tradition“, so definierte Lea Rosenbauer einleitend das Bäckerhandwerk. Sie analysierten in Politik und Wirtschaft und für den Wettbewerb, und zuvor auch schon im Rahmen von business@school in Phase II, die Marktdynamik eines Bäckereibetriebs, stellten das Ungleichgewicht fest, dass die Zahl der Betriebe zurückgehe, der Umsatz an Backwaren aber steige. Und sie stellten mit umfangreichen Daten- und Statistiken fest, dass fast alle Kunden zu 80-90 % sagten, sie vermissten den lokalen Bäcker, aber zunehmend zu 40-50 % schon die Brötchen bei den Discountern kaufen, aus Bequemlichkeit, Unwissen oder Geiz. Ein Zwang, der den Strukturwandel in vielen Bereichen stark beschleunige, so die drei jungen Wissenschaftlerinnen.

Die Ergebnisse ließen sich auf viele Arbeitsbereiche auch im Bankenwesen anwenden, lobte Claudia Preußer, Leiterin der Nassauischen Sparkasse Geisenheim. Coach Paul Rauh ist wie Bäcker Dries sehr stolz. „Ich freue mich, dass die Marktforschung so spannende Erkenntnisse hervorgebracht hat – wie den traurigen Widerspruch, dass viele angeben, Bäckereibetriebe zu vermissen, gleichzeitig aber eiskalt ihre Brötchen bei Aldi und Co. einkaufen.“ Tatsächlich, so eines der überraschenden Ergebnisse der Schülerinnen, erwerben aktuell nur 55 Prozent ihre Backwaren in Bäckereien. „Emotional geben aber 85 Prozent an beim Bäcker zu kaufen. Warum sagen die das?“, stellt Helena Averdung eine provokative Frage. Professor Gergely Szolnoki der Geisenheimer Hochschule vermutet, dass es sich bei der Angabe um die soziale Erwünschtheit handle, aber die Wahrheit anders liege.

Die Landtagsabgeordnete Petra Müller-Klepper (CDU), selbst stolze Bäckertochter, lobte die Arbeit des Teams: „Das Team hat objektiv die Probleme des Bäckereisterbens aufgezeigt, aber auch eine Perspektive aufgezeigt.“ Tilman Wittershagen, Sprecher der Deutschen Bank, hatte seine Stimme im Wettbewerb für die Analyse der Schülerinnen gegeben. „Mir haben die aufgestellten goldenen Regeln für traditionelle Bäckereien gefallen. Das Team hat in Summe eine ganz hervorragende, strukturierte und präzise belegte Analyse vorgelegt.“

Einzigartigkeit, Leidenschaft und Vertrauen gehören zum Erfolg. Das Team stellte vor, wie bei kleinen Betrieben zwar Personalkosten stärker ins Gewicht fallen, aber der persönliche Kundenkontakt ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sei. „Bäcker können so besser mit den Trends gehen. Bio, Fair Trade oder einen Brötchen-Lieferservice“, sagt Chiara Rummelsberger. Lea Rosenbauer betonte, die Bäcker seien - wie fast alle Unternehmen heute - stark in die Zwänge der Ökonomisierung und Digitalisierung eingebunden, und es gebe für viele keine Perspektive. Andreas Maletzke, Handwerkskammer Wiesbaden bestätigte diesen Trend. Hingegen zeigte Bernd Kütscher, Bundesakademie des deutschen Bäckerhandwerks (Weinheim) auf, dass es auch Gegenbeispiele gebe, das sei aber sehr schwierig.

„Kann eine Traditionsbäckerei mit nur einer Filiale in Zukunft bestehen?“ Auf die Frage von FR-Redakteur Peter Hanack, der mit Matthias Rust von „Schule-Wirtschaft“, das Gespräch leitete, gab es eine kontroverse Diskussion. Andreas Schmitt, ebenfalls Bundesakademie des deutschen Bäckerhandwerks, ist optimistischer. „Ja, wenn Betriebe sich auf 10 Sorten Brot spezialisieren, wie man sie wirklich nur handgemacht bekommt. Das ist dann was Besonderes.“ Martin Dries setzte dem entgegen: „Es gibt ein paar Einzelkämpfer deutschlandweit, die damit noch eine Familie ernähren können. Aber da wird es dann ganz einsam.“

„Bäcker Dries-Team“ Helena Averdung, Lea Rosenbauer und Chiara Rummelsberger, und Coach Paul Rauh