So, 11.06.2006

Philosophisches Colloquium an der ISH mit Dr. Zimbrich

„Zuletzt wird der die Wahrheit suchende, erkennende Wanderer die Sonne selbst, sie selbst an ihrer eigenen Stelle betrachten können. Die im Schatten der Höhle verbleibenden Menschen aber werden über den „erleuchteten Rückkehrer“ spotten und ihn ganz gewiss umbringen.“ Wer kann so vortrefflich in Gleichnissen schreiben und so wunderbar zum philosophischen Nachdenken über den Prozess der Erkenntnis anregen? Richtig, es ist unser guter alter Plato in Begleitung eines bekannten „wanderfreudigen Zeitgenossen“ aus Frankfurt/M., Dr. Fritz Zimbrich.

Was kann ich wissen? Mit Kant in Platos Höhle!?“ Das war der Leitgedanke in Dr. Zimbrichs philosophischem Kolloquium am 12. Juni 2006 am späten Nachmittag. Eingeladen vom Philosophie- und Ethiklehrer Paul Rauh knüpfte Zimbrich in der 11. Klasse an das in Gruppenarbeit erlesene „Höhlengleichnis“ des antiken Urvaters der Philosophie an. „Wie genauer ist das Bild, das Plato benutzt? Wie ist die Ausgangssituation in der Höhle? Wie erklärt ihr euch den Prozess des Sehen-Lernens als Prozess der Erkenntnis? Als Weg? Was symbolisiert die „Sonne der Erkenntnis“ für Plato? Was wird am Ende des Gleichnisses angedeutet?“ Zimbrich fordert die jungen Menschen, ganz genau zu lesen, das Gleichnis intensiv auszudeuten, den ganzen Weg der beschwerlichen Erkenntnis mit zu gehen.

In einem gelungenen Dreisprung leitet Fritz Zimbrich mit einer OH-Folie vom „infiniten Regress der Rosen im Gehirn“ von der Ideen- und Abbildtheorie Platos zur Kantschen „Kopernikanischen Wende der Erkenntnis“ zur aktuellen Diskussion in der Neurobiologie über. Zimbrich erläutert zunächst die neuere neurobiologische Theorie der Erkenntnisprozesse (z.B. Wolf Singer, Der Beobachter im Gehirn, Ffm. 2002. Steven Pinker, Wie das Denken im Kopf entsteht, München 1998 -Computertheorie des Geistes-). Dann stellte der Frankfurter Profi vier spannende Paradoxien vor: 1. Die Paradoxie der verschwindenden Welt 2. Die Sumpf-Paradoxie des Gehirns 3. Die-Ich-bin-es-und-ich-bin-es-nicht-Paradoxie 4. Die Wahrheitsparadoxie. Selbst am späten Nachmittag bei 30 Grad schaffte es Zimbrich, die Schülerinnen und Schüler hiermit zu verblüffen. „Die Wirklichkeit, in der Sie meinen zu leben, ist ein selbst referentielles Konstrukt Ihres Gehirns?“ Zimbrich läuft zu Hochform auf und fragt noch provokativer: „ Gibt es dann überhaupt Wahrheit? Oder bedeutet das – bildhaft gesprochen – so viel wie einen Bock melken und dazu ein Sieb benutzen?“

Der Schwenk zu I. Kant gelingt elegant zum Abschluss, auch wenn der Geist der jungen Philosophen langsam erlahmte. „Kant hat das vor ca. 225 Jahren schon gewusst! Wir erkennen nur die Erscheinungen, nehmen nur die äußeren Sensationen wahr, die Welt affiziert mich, ich erkenne nicht die Dinge oder Ideen an sich. Der Verstand formt und selektiert, filtert die Daten nach erlernten Kategorien und Grundsätzen (wie z.B. Raum und Zeit, Analogien der Erfahrung und der Empirie). Wahrheit als ewige Größe – anders als es Platos „Sonne der Erkenntnis behauptet – ist nicht mehr möglich!“ Der erfrischend lebhaft dozierende Hochschullehrer Fritz Zimbrich wirkt nach dieser anspruchsvollen „Wanderung“ durch die hohe Welt des Geistes ebenso wie die Jugendlichen von der „äußeren Hitze sichtbar affiziert“.

Die Krönung dieser „Schönsten Stunde der ganzen Woche“ bildete daher Zimbrichs Zitat aus der Vorrede zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“: „Man versuche es daher einmal ..., dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten.“ Danke für eine wunderbare Nachmittagswanderung, lieber Herr Dr. Zimbrich!