26.10. - 10.11.2009

Kreative Wege aus der Essstörung

Ausstellung: Der Klang meines Körpers

„Es war nur ein kleiner Augenblick, einen Moment war ich nicht da. Danach ging ich einen kleinen Schritt und dann wurde es mir klar…“ In Xavier Naidoos Lied „Dieser Weg“ bringen fünf junge Frauen ihre Gefühle zum Ausdruck; Gefühle, zu denen sie den Zugang schon verloren geglaubt hatten. Sie alle litten an einer Ess-Störung, sie alle sind heute gesund. Das verdanken sie nicht zuletzt, der Musiktherapie, an der sie gemeinsam teilgenommen haben. „Musik und Bilder sprechen lassen, wenn Worte fehlen“, so beschreibt Projektinitiatorin Stephanie Lahusen die Idee dahinter. Die Mädchen hatten die Möglichkeit, neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Die gesammelten Erfahrungen ebenso wie die neu geschöpfte Hoffnung möchten sie mit der Ausstellung „Der Klang meines Körpers“, die sie gemeinsam mit ihrer Therapeutin und einer Grafikerin entwickelt haben, an Betroffene und Interessierte weiter geben.

Für die Ausstellung gibt es eine lange Warteliste. Als der Hansenberg schließlich an der Reihe war, haben Sportlehrerin Frau Matschak und Sozialpädagogin Frau Fietz sogar eine Fortbildung absolviert, um nun jede der 24 Wohngruppen des Internats eineinhalb Stunden kompetent durch die Installation führen zu können. Die Führungen finden abends in der Turnhalle statt. Da ist es schon dunkel, nur die Kunstwerke sind angestrahlt. Fünf große Bilder sind im Kreis angeordnet – immer mit Vorder- und Rückseite- unter jedem steht eine Schatzkiste. In der Mitte des Kreises steht eine runde Couch, auf der später Platz genommen werden soll. Zunächst jedoch betrachten wir den Außenkreis. Er soll uns auf die Ausstellung einstimmen, indem ein kurzer Überblick über das Thema Ess-Störungen an sich gegeben wird – knapp und das ist auch gut so, denn im Mittelpunkt des Abends sollen die Bilder und Texte der fünf Mädchen im Innenkreis stehen, ebenso wie die ausgewählten Lieder. In ihnen gewähren uns die jungen Frauen Einblicke in ihre Innenwelt, berichten von ihren Ängsten und Notlagen genauso wie von Wünschen und Sehnsüchten. „Ich hatte im Grunde so viel, doch mir fehlte in Wirklichkeit unheimlich viel, was man mit Geld nicht kaufen kann: Liebe, Zärtlichkeit und viel Verständnis für meine tiefe Trauer“, steht auf Nathalies Leinwand, daneben ein schlafendes Mädchen, zusammengekauert in der Embryonalstellung. Auf der Couch sitzend ist man als Betrachter völlig von den Bildern umgeben und kann sie auf sich wirken lassen; die Lieder, die die Mädchen auf einer „Speisekarte“ zusammengestellt haben, immer im Ohr. „There’s something inside me that pulls beneath the surface/ consuming, confusing/ this lack of self control I fear is never ending/ controlling, I can’t seem…/ crawling in my skin/ this wounds they will not heal…“ (Linking Park: Crawling)

Jede Führung sei anders, wissen Frau Matschak und Frau Fietz zu berichten. Bilder, Texte und Musik sind stets nur zur Anregung einer Diskussion der Zuschauer gedacht. Hier wird klar, es geht nicht um die Konfrontation mit Einzelschicksalen, wichtig ist Einfühlungsvermögen. Jeder Mensch ist einzigartig und so sind es auch die Gründe, die in eine Ess-Störung führen können, wie z. B. familiäre Konflikte, gesellschaftliche Einflüsse wie Mode/ Diäten, auch persönliche Eigenschaften wie Perfektionismus. Ein aufmerksamer Betrachter kann Signale erkennen, die von Magersucht (Anorexia Nervosa), Ess-Brechsucht (Bulimia Nervosa) oder Ess-Sucht (Binge Eating Disorder) Betroffene oder auch Gefährdete senden. Um aus dem Teufelskreis herauszutreten gilt es, den Zugang zu den Gefühlen zu finden, die in Verbindung mit der Krankheit stehen. Die fünf Mädchen, Melissa, Annika, Mia, Lara und Nathalie, haben ihren Weg aus der Ess-Störung gefunden. Jede von ihnen hat eine Schatzkiste mit gutem Rat gefüllt. Mit ihrer verspiegelten, mit rotem Lippenstift beschriebenen/geküssten Truhe beispielsweise rät Melissa: „Entdecke dich selbst!“ Sie hat den Blick in den Spiegel gewagt.

Nach 90 Minuten in der dunklen Turnhalle kristallisiert sich langsam heraus, wonach die Mädchen gesucht haben und was sie (in sich selbst) finden mussten, um aus ihrem Leidensweg eine Erfolgsgeschichte zu machen. „Bitte nicht füttern, denn ich habe Hunger nach: Nähe, Ehrlichkeit, Verständnis, Unterstützung, Liebe…“ steht auf einem orangefarbenen Bild des Außenkreises. Eine Sonne strahlt dem Betrachter davon entgegen. Alle Mädchen studieren heute, wissen Frau Matschak und Frau Fietz zu berichten und noch eine Reihe weiterer kleiner Details aus dem Leben der fünf, die einem zwangsläufig ein zufriedenes Lächeln entlocken.

Die Führung ist vorüber, die Gruppe zerstreut sich vor der Tür zur Schule. Alle sind sehr ruhig. Nicht bedrückt, aber sicher vor allem mit sich selbst beschäftigt. Auf die Ausstellung „Der Klang meines Körpers“ muss man sich einlassen. Vermutlich braucht man als Betrachter auch Zugang zu dieser kreativen Umsetzung des jedem bekannten Themas Ess-Störungen. Vielleicht sind es Betroffenheit oder Schuldgefühle die uns so still werden lassen. Vielleicht ist es jedoch auch Dankbarkeit, denn Ess-Störungen sind immer auch ein stückweit mit dem Hunger nach Leben verbunden.