Do, 18.10.2018

"Grüße aus der DDR" - Zeitzeuge Siegfried Wittenburg. Seine Bilder und Erfahrungen

In der Reihe „Kolloquium Politik und Geschichte“ hatten wir heute einen besonderen Gast. Der Zeitzeuge der DDR-Geschichte Siegfried Wittenburg stellte seine „Grüße aus der DDR: Bilder und Erfahrungen“ vor. Leitmotiv seines Bildervortrags war: „Freiheit! Ihr seid die erste junge Generation mit den Gleichaltrigen in den neuen Bundesländern, die frei lebt. Und wisst ihr, was das zentrale Motiv dabei ist? Liebe!!! Nicht Hass!“

Das Gespräch mit Siegfried Wittenburg, dem Zeitzeugen der SED u. DDR- Geschichte war ein Highlight des PoWi- und Geschichtsunterrichts des Jahres.

Mit einer persönlichen Begrüßung unserer Schulleiterin, Dr. Susanne Gebauer, ebenfalls Rostockerin wie Wittenburg, und mit einem kurzen, bewegenden Einblick in ihre frühe Kindheit „zwischen Plattenbau und Schlammpfützen“ und weiterer „DDR-Sozialisation“ begannen wir die frühe Morgenstunde um kurz vor 8 Uhr. Und dann legte Siegfried Wittenburg, Rostock, Mecklenburg-Vorpommern, ebenfalls sichtlich bewegt, richtig los: „Grüße aus der DDR“.

„Wie funktioniert eine Diktatur?“ fragte Wittenburg rhetorisch die mittlerweile auf über 70 Schüler angeschwollene, große Zuhörerschaft des Abiturjahrgangs. Dabei auch Sozialpädagogin Isa Fietz, Deutschlehrerin Christiane Klee-Molitor, die PoWi-Lehrer Dr. Thomas Bernöster und Paul Rauh.

„Diktatur funktioniert mit Macht, gebaut auf Angst und Gewalt!“ Und Wittenburg zieht weite Parallelen zu einem Erlebnis diesen Jahres auf dem Marienplatz in München nach dem „Oktoberfest“. „Ich habe dort mit Demonstranten der Pegida München gesprochen. Die hatten die gleichen Charakteristika wie die Führung in der DDR: Klares, festes Weltbild, unerschütterliche Ideologie, Propaganda mit Halb- und Unwahrheiten, absolute Rechthaberei, und – Sie wollen immer eine Mauer bauen. Wir gegen die!“

Den Menschen Siegfried Wittenburg erlebten wir als einen hervorragenden DDR-Zeitzeugen, der, wie er berichtete, als autodidaktischer Fotograf seit ca. 1970 das Leben in der DDR in seinen Bildern fest hielt. In seinen Aufnahmen zeigte uns der Rostocker den Alltag in der DDR. 1986 wurde er als Leiter des Jugend-Fotoklubs "Konkret" entlassen, weil er sich einer Zensuraufforderung der SED widersetzte. „Auch ich wurde von der Stasi (Ministerium für Staatssicherheit der DDR) bespitzelt, sogar aus der eigenen Familie, das ist bitter. Aber ich habe nach Sichtung der Unterlagen der Gauck-Behörde zur Aufbereitung des SED-Unrechts weitgehend Frieden geschlossen, auch mit meinen Verrätern.“ Wittenburg präsentierte sich hier ausgesprochen menschlich, bereit zur Versöhnung mit geschehenem Unrecht.

Der DDR-Zeitzeuge zeigte uns seine eindrücklichen, nachdenklichen Bilder in schwarz-weiß Technik. Das Besondere seines Vortrags und seiner persönlichen Bilder: Die Art der SED-Aufarbeitung durch Siegfried Wittenburg zeigt die DDR nicht völlig historisiert, sondern er zieht permanente Bezüge zur Gegenwart (z.B. die autokratischen Tendenzen in Europa, Populismen, Europakritik). Hauptmessage von Siegfried Wittenburg an die jungen Menschen am Ende: „Auch unsere Demokratie hat keinen Blankoscheck für die Ewigkeit, wenn sich die Bürger, die schweigende Mehrheit, nicht darum kümmert.“

Der SED-Zeitzeuge ist im Oktober auf Hessen-Tour und kam so auch an den Hansenberg. Mathias Friedel, Referatsleiter der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und langjähriger Leiter der „Wirtschaftswoche in Dorfweil“ mit dem Projekt ÖKOWI vermittelte uns diesen hervorragenden Termin. Wir erlebten eindrücklichen Geschichts- und Politik-Unterricht auf persönlichem, höchstem Niveau. Mit dankbarer, lebhafter Beteiligung der Hansenberger.

Paul Rauh, ISH