Mi, 07.02.2007

Familie als das existenzielle und emotionale Fundament unserer Gesellschaft – Hansenberger besuchten Vortrag des Bundesverfassungsrichters a. D. Paul Kirchhof

„Deutschland entdeckt seine Zukunft“, denn nur durch Kinder sei die Zukunft Deutschlands sicher, sagte Prof. Dr. Dr. h. c. Paul Kirchhof zu Beginn seines komplexen, aber verständlichen Vortrags zum Thema „Ehe und Familie als Grundlage unserer Gesellschaft“. Auch einige Hansenberger nutzten die Chance, an dieser Veranstaltung der Vortragsreihe „Was uns leitet – Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur“ am Donnerstag, dem 8. Februar 2007, teilzunehmen. Wegen großem Interesse, unter anderem durch den anwesenden Ministerpräsidenten, fand die Veranstaltung nicht direkt im Hessischen Landtag, sondern im Wiesbadener Kulturforum, unweit vom Landtag gelegen, statt.

Schon in seiner Begrüßungsrede betonte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Dr. Christean Wagner, die besondere Wichtigkeit von Ehe und Familie für den Staat. Während eine Familie früher ein selbstverständliches Lebensmodell war, gibt es heute durch den Wandel der Gesellschaft immer weniger Eheschließungen, dafür aber mehr Scheidungen, was darauf hinweist, dass Ehe und Familie zunehmend an Bedeutung verlieren.

Referent des Abends war Paul Kirchhof, Jahrgang 1943, der nach seinem Jura-Studium promovierte und habilitierte, während sein Vater als Richter am Bundesgerichtshof arbeitete. Kirchhof – selbst vierfacher Vater und ebenfalls vierfacher Großvater – ist Bundesverfassungsrichter a. D., der insbesondere für Kinderexistenzminimum, Familienlastenausgleich, Länderfinanzausgleich, Maastricht-Urteil und Euro-Entscheidung bekannt wurde. Außerdem ist er Professor an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Publizist von mehreren Büchern; nicht zuletzt durch sein aktuelles Buch „Das Gesetz der Hydra – Gebt den Bürgern ihren Staat zurück“ ist Kirchhof im öffentlichen Diskurs präsenter denn je. 2005 war er der Finanzfachmann im CDU-Bundestagswahlkampf.

Kirchhof gliederte den Vortrag grob in „Situationsanalyse“ und „Lösungsvorschläge“. Die Wichtigkeit von Ehe und Familie für Kinder und Jugendliche, auf die unsere Gesellschaft durch die Abhängigkeit voneinander zwangsläufig schaut, stand als zentraler Punkt an erster Stelle. Darauf folgten Faktoren wie Wirtschaftswachstum, welches nur durch das Wachstum der Kinderanzahl möglich sei, da schon heute ein Nachfrageminus im Bereich der „Kinderproduktpalette“ zu finden sei, was sich in den nächsten Jahren auf Automobilproduktion und danach in weniger neuen Häusern ausdrücken wird. Auch Veränderungen in Literatur, Musik, Kultur und schließlich wieder in der Gesellschaft, im Staat und der Demokratie würden die Folgen der heutigen Entwicklung sein.

Weiterhin beschrieb der Referent, dass Kinder die Zuwendung und die Zeit ihrer Eltern brauchen (und auch den Anspruch darauf haben) und diese Elternrolle auch wahrgenommen werden müsse. „Jedes Elternrecht ist gleichzeitig auch als unkündbare Elternpflicht zu verstehen.“ Es reiche nicht aus, Kinder mit Videospielen zu erziehen, da es zu Gewalt, mangelnder Sprachkenntnis und weiteren negativen Auswirkungen führe. Im Grundgesetz verankert ist das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie, die die beste Grundlage für die Entwicklung eines Kindes darstellen. Es ergibt sich dennoch die Frage, inwieweit der Staat den Eltern ihre Aufgaben abnehmen darf und kann. Ist es möglich, die elterliche Erziehung durch eine „Staatserziehung“ zum Beispiel in Kindertagesstätten zu ersetzen? Kirchhof lehnte diesen Vorschlag entschieden ab, da die Kinder seit der Geburt nur an die Eltern gewöhnt sind. Ein kostenloser Kinderkrippenplatz sei für berufstätige Eltern sicherlich eine Erleichterung, die aber für die „selbsterziehenden Eltern“ ohne „normales“ Einkommen eine Belastung darstelle. Es ist also heute nur schwer möglich die Ziele Beruf und Kind zu vereinbaren.

Um dennoch zu einer Lösung zu gelangen, untersuchte Kirchhof die Unterschiede zwischen dem Familienmodell der modernen Industriegesellschaft und dem früheren Familienmodell. Während früher Familie und Arbeit nur zusammen funktionierten, da die Kinder helfen mussten und die Altersvorsorge der Eltern waren, ist es heute kaum noch möglich, Kinder und Karriere „unter einen Hut zu bekommen“, da teilweise große Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz liegen und lange Arbeitszeiten ohne Kinderbetreuungsmöglichkeit normal sind.

„Brauchen wir mehr Kinder? – Unbedingt!“, doch wie kann man diese Probleme lösen? Kirchhof erklärt seine Lösungen, wie z. B. der aktuelle Rentengenerationsvertrag als „Torheit des Rentensystems“ zu verstehen sei und in die Kategorien „kinderlos“ und „mit Kindern“ neu unterteilt werden solle, damit die höchste Rente theoretisch den Müttern zufällt.

Aber auch für alle anderen Probleme bot Kirchhof Lösungsvorschläge an. So solle eine Familiengründungsphase zwischen Ausbildung und Berufsleben geschaffen werden. Wer zum Beispiel wegen eines Kindes aus dem Job aussteigt, soll durch ein flexibleres Arbeitsrecht sofort wieder einsteigen können bzw. durch ein Kind eher Vorteile als Nachteile bei der Einstellung genießen. Auch Halbtagsstellen für Frauen müssten „neu entdeckt“ werden oder wie Kirchhof zitierte: „Zwei halbe Frauen sind mehr als ein ganzer Mann.“ Ein weiterer Lösungsansatz ist die „Reservestellung“ der Großeltern, die durch das Zusammenleben mit den Eltern der Kinder in einer intakten Familie einen Lebensinhalt und eine möglichst große Freiheit erfahren können.

Was kann aber der Staat machen? Kirchhof setzt in seiner Lösungsmöglichkeit der „fundamentalen Umverteilung“ auf die „Macht des Rechts“ und die „Macht des Geldes“ als die einzigen Instrumente des Staates. Jedes Kind solle vom Staat die gleiche finanzielle Chance haben, wobei die Eltern das Geld nach ihrem Ermessen verwalten. Kirchhof kritisiert, dass Kinder in der Politik keine eigene Stimme haben, obwohl sie die kommenden Generationen sind, die von den heutigen Entscheidungen am meisten betroffen sein werden. Deshalb fordert er pro Kopf eine Stimme bei jeder Wahl, die bis zum 18. Lebensjahr den Eltern zusteht.

Steuerrechtliche Lösungen sind z. B. das Ehegattensplitting oder das erweiterte Modell des Familiensplittings. Außerdem müssten die Kinderfreibeträge angepasst werden. Warum ist ein PC für eine Firma steuerfrei, aber für den Nachwuchs des Landes vom versteuerten Geld der Eltern zu bezahlen?

Vor dem anschließenden Kolloquium mit vielen Fragen interessierter Zuhörer stellte Kirchhof am Ende des Vortrags die Frage: „Warum ging Rom unter?“ – Die Antwort ist scheinbar einfach: Der Staat versprach Einkommen aus Kriegsschätzen, ohne Arbeiten der Bevölkerung, so dass aus dem „Nicht-Arbeiten“ eine Generation ohne Bildung entstand und daraus eine Gesellschaft ohne Bildung, Familie oder Kultur resultierte. Auch wenn es in Deutschland noch nicht so schlimm aussieht, dass man sich ein ähnliches Untergangsszenario ausmalen müsste, sollte an der momentanen Situation aus Sicht Kirchhofs einiges Geschehen. „Man muss verstehen, dass Familienpolitik die beste Wirtschaftspolitik ist“.