Fr, 05.10.2012

Fahrt in das Schauspiel nach Frankfurt: Goethe, Faust I

Es gehört mit Sicherheit zu den bedeutendsten Werken der deutschen Literatur und fast jeder wird in seiner Schullaufbahn oder späteren Leben mit ihm konfrontiert: Johann Wolfgang von Goethes „Faust - Der Tragödie erster Teil“ aus dem Jahre 1808. Basierend auf Legenden um den historischen Faust, scheint die Handlung hinter dem Schicksal des Protagonisten geradezu altbekannt.

Denn wenngleich man Dr. Heinrich Faust als Universalgelehrten bezeichnen könnte, reichen seine Studienkenntnisse doch von Theologie bis zur Medizin, gerät er in eine tiefe Sinnkrise. Das menschliche Leben erscheint ihm nichtig, da es ihm sowohl an geistiger Vollkommenheit als auch sozialer Befriedigung mangelt. Tief deprimiert begegnet er dem Teufel Mephisto und geht mit ihm einen Pakt ein: sollte es Mephisto gelingen, Faust die letzte Erfüllung seines Lebens zu bereiten, erhält er im Gegenzug seine Seele. So nimmt der Teufel ihn unter seine Obhut, verjüngt ihn und wirkt auf seine Liebschaft zu dem jungen Gretchen ein. Doch Gretchen wird schwanger und ertränkt das Neugeborene im Brunnen, das dadurch demselben Schicksal wie Gretchens Mutter und Bruder erliegt, die ebenfalls im Laufe der Tragödie versterben. Der Unzucht angeklagt endet Gretchen im Kerker, wird allerdings durch Gottes Gnade vor der Hinrichtung gerettet. Faust und Mephisto flüchten.

Behandelt man nun im Rahmen des Deutschunterrichts die Lektüre Faust, mag sich jeder seine eigenen Bilder zu den Szenen entwerfen, seine eigenen Figuren, seine eigenen Schauplätze. Doch was nahezu den gesamten Jahrgang Q3 am Samstagabend des 6. Oktober im Schauspielhaus Frankfurt erwartete, schien alle bisherigen Vorstellungen zu vernichten. Die Inszenierung von Stefan Pucher bot ein sich aus verschiedenen, dreieckigen Elementen zusammensetzendes Bühnenbild im hochmodernen Stil, das auch sicherlich eine außerordentliche Wirkung erzielt hätte, wäre da nicht diese Geisterband inklusive ihrer instrumentalen Ausrüstung im permanenten Blickwinkel des Zuschauers gewesen. Nun gut, der visuelle Aspekt stellt nur einen Teil dar, nur leider bleibt vom akustischen Wert herzlich wenig übrig, wenn die musikalische Untermalung in eine „Übermalung“ entartet und „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ im Gitarrensound verschwindet. Aber wenn das eine berühmte Zitat unterzugehen vermag, so bietet Faust ja noch genügend weiteren Stoff, der auf die Bühne gebracht werden kann – auch gerne als Diaprojektion des Frankfurter Stadtlebens. Doch wie geeignet scheint ein verwahrloster Heinrich Faust, herumirrend unter hektischen Frankfurtern des 21. Jahrhunderts? Zumindest insofern, dass dies nicht dazu dient, den Theater- in einen Kinosaal zu verwandeln mit der Conclusio „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“.

Immerhin wird Faust in der Hexenküche einer Verwandlung unterzogen. Die Requisiten: ein überdimensionaler Apfel gleichermaßen wie eine noch größere Banane. Schade, dass kurz zuvor eine Zuschauerin den Saal verlässt, Mephisto schrie ihr doch noch hinterher, dass gleich der Obstsalat käme. Und auch wer glaubt, das Auftreten Gretchens könne gar keine Überraschung mehr bereitstellen, irrt. Denn das scheue, fromme Mädchen aus kleinbürgerlichem Haus präsentiert sich ohne ihr Kopftuch gar nicht mehr so bescheiden, man neigt viel eher dazu, in diesem Kontext aufdringlich zu verwenden – aber letztendlich ist ja alles nur Interpretationssache.

Dies begründete wahrscheinlich auch, weshalb Faust und Margarete ihr Liebesleid in englischsprachige Gesangsduette transformierte n, die definitiv dem Genre Pop zuzuordnen waren. Daran schlossen sich noch zahlreiche weitere Momente an, die einen zwar zum Lachen aber gleichzeitig auch zum schmunzeln bewegten. Und obwohl sich das Spektakel nach der Pause deutlich beruhigt hatte, war es einem als Zuschauer doch nicht möglich, die zweite Hälfte unabhängig von ersterer zu bewerten.

Demnach hatte die Inszenierung insgesamt also eine Menge an Unterhaltung zu bieten: Rock- und Popkonzert, Zauberkunststücke, Hundeshow, Kabarett und einen gänzlich integrierten Zuschauer. Nur eines gelang ihr nicht, nämlich dem literarischen Meisterwerk Goethes auch nur annähernd gerecht zu werden. Wer’s mag.