Di, 08.05.2012

Fahrt in das Schauspiel Frankfurt: René Pollesch: „Wir sind schon gut genug“

Sie wollten eigentlich Mutter Courage aufführen. Jetzt stehen sie zu sechst auf der Bühne, tragen Superman-Anzüge und sind offenbar ein Netzwerk, so wie sie immer wieder miteinander verketten. „Wir sind schon gut genug“ von René Pollesch beginnt mit der Feststellung, dass, obwohl alle sechs Personen in das Stück involviert sind, ein Wir fehlt, es fehlt die Nahbegegnung. Was es aber offenbar zu genüge gibt, ist Distanz und Kommunikationslosigkeit trotz Masse und Miteinander. Auch wird sich über den Mehrwert beschwert, der zu jeder Zeit aus Handlungen und Aussagen herausgepresst werden muss; warum muss sich verliebt angeschaut werden, nachdem man sich geküsst hat? Warum diese zwanghafte Interpretation und warum immer mehr als das, was gegeben ist? Warum reicht es nicht, man selbst zu sein und warum gibt es so viele Moralapostel, die einen immer wieder an die inneren Werte erinnern?Und so entfernen sich die Schauspieler von Figuren, von Mutter Courage und von Konstrukten. Es entwickelt sich konkrete Diskussion und in erster Linie ein Hinterfragen der gegebenen Normalität. Der Abend steht für universelle Ideen nicht zur Verfügung, die von Repräsentanten verkörpert werden, vielmehr findet eine komplexe Auseinandersetzung statt mit den machtvollen Mechanismen, die unseren Alltag regulieren, ohne dass wir es als Regulierung wahrnehmen.

Also diskutieren sie. Diskutieren hinter der Bühne bei laufender Kamera oder während sie sich, ohne es zu merken, an Beinen und Armen verketten. Es werden Vorwürfe geschrien, Monologe gehalten und während all dem scheint es, als würden die Schauspieler durch Körpersprache und Choreographien ihre Aussagen untermalen. Das Bühnenbild beispielsweise korreliert mit den Kostümen der Personen und macht es möglich, dass einzelne, stehen sie an der Wand, durch ihre Farbe nicht auffallen. Ebenso eignet es sich aber dafür, sich von farblicher Einheitlichkeit abzuheben und sich zu trauen, dem Schutz der Menge zu entsagen. Auch fangen die sechs Personen immer wieder an zu tanzen, ohne ihre Bewegung kontrollieren zu können, beginnen sie, im Trott die gleichen Schritte zu gehen, ähnliche Geräusche zu machen. Oder zwei Schauspieler räkeln sich einfach endlose Minuten auf dem Boden, im Kampf gefangen, wer oben liegen darf.

Bewegung und Sprache, Witz und Ernst kombinierten sich zu einer vielseitigen Kritik an der heutigen Gesellschaft und überließen dennoch jedem Zuschauer durch bewusste Ablehnung des allgemein Gültigen die eigene Antwort zu jeglicher Fragestellung. Ein anregender Abend, der wegen seiner Liebe zum Ungeschminkten bestach und wegen seiner Idee vom Eigenen noch lange im Gedächtnis bleibt.