So, 14.11.2010

Fahrt in das English Theatre nach Frankfurt: “ Poetry Slam“

„Du sollst die Macht der Powerranger spüren.“ Spätestens bei dieser zweifelhaften Aussage des so bezeichneten „Slammers“ auf der Bühne frage ich mich ernsthaft, wie ich hierhin gekommen bin. Verstohlen blicke ich mich um. Das Publikum scheint mir auf den ersten Blick ziemlich unverdächtig, von den obligatorisch gelangweilten Schulklassen bis hin zu einigen Geschäftsleuten mittleren Alters ist ein ziemlich unrepräsentativer Querschnitt unserer Gesellschaft vertreten. Die meisten Zuschauer machen einen jungen und unverbrauchten Eindruck. Ich atme erleichtert aus; es könnte also ein ganz normales Popkonzert sein. Zumindest sieht der junge Mann, der jetzt die Bühne betritt mehr nach Boygroupmitglied als nach Germanistikstudent aus. An dieser Stelle sollte ich mich wohl eher fragen, wie er hierher gekommen ist.

Um diese Frage zu beantworten ist es hilfreich, sich die Definition des Poetry Slams näher anzusehen. Der Poetry Slam ist, wie so viele gute Dinge, eine amerikanische Erfindung. Im Prinzip könnte man diese Veranstaltung als einen Wettbewerb auffassen, bei welchem sich die Teilnehmer mit selbst geschriebenen Texten jedweder Art um die Gunst des Publikums reißen, um am Ende des Abends Ruhm, Ehre und eine Flasche Bacardi oder wahlweise eine Tütensuppe zu gewinnen. Dabei mag manch einer an eines dieser berühmt anrüchigen Rap Battles denken, bei denen die Absicht die Mutter des jeweils anderen auf schlimmstmögliche Weise zu beschimpfen im Vordergrund steht. Das ist beim Poetry Slam anders, was entweder daran liegt das ein Großteil des Publikums die Volljährigkeit noch nicht erreicht hat, oder auf die innige Freundschaft aller Teilnehmer zurückzuführen ist. So stellt der Moderater, seines Zeichens ebenfalls Slammer, jeden zweiten der Kontestanten als einen „ganz engen Freund von sich“ vor und wenn nicht so, dann zumindest als „furchtbar lieben und netten Menschen.“

Die Slammer treten also als große, humorvolle Familie in Erscheinung, die alle mit dem gleichen Talent gesegnet wurden und es sich zur Aufgabe gemacht haben der Jugend von heute die Schönheit der deutschen Sprache etwas näher zu bringen. Und wie wir alle aus der Schule wissen, lernt man am liebsten von demjenigen, mit dem man sich am besten identifizieren kann. Eine große regionale Vielfalt in der Herkunft der Slammer und ein bemüht unauffälliges Erscheinungsbild der einzelnen Wettbewerber sind daher Usus. Um nun noch eine möglichst objektive Begutachtung der erbrachten Leistung zu gewährleisten, wird diese unehrenhafte Aufgabe nicht wie in der Schule von den Moderatoren vorgenommen sondern an das Publikum abgetreten. Mit den ausgegebenen Bewertungstafeln sollen die Vortragenden auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet werden. Aber wie in der Schule wird die Notenskala nie völlig ausgeschöpft. Die Slammer rangieren meistens zwischen 7 und 9 Punkten. Ist derjenige Teil des Publikums, der keine Bewertungstafel ergattern konnte unzufrieden, kann er zumindest einen „Extrapunkt“ einfordern, was eigentlich immer der Fall ist. Ausschlaggebend für die Erteilung sei stets „die Vehemenzs des Volkszorns“.

In der Theorie klingt das Ganze ungefähr doppelt so trocken, wie es in Realität ist. Ein Poetry Slam ist für die Bauchmuskeln des Publikums ungefähr so effektiv wie eine Session im Fitnessstudio, mit dem einzigen Unterschied, dass man dabei auch noch etwas für seine Bildung macht. „Ich trug dich bis ans Ende der Welt. Du kamst zurück.“ Das Lachen hält für etwa 2 Minuten, der Lerneffekt für hoffentlich immer. Auch über die angsterfüllte Feststellung eines Finalisten, sollte man sich mal Gedanken machen. Er fürchtet nämlich, dass er sterben würde. „Möglicherweise für immer.“ Hiermit wäre auch das letzte Argument gegen Poetry Slam ausgeschaltet, das Niveau. Poetry Slam ist mehr als das, es ist eine Klasse für sich. Bleibt also nur noch zu sagen: „Du sollst die Macht der Poetry Slammer spüren.“