Mo, 07.09.2009

Europaplanspiel mit der Jahrgangsstufe 13, veranstaltet durch EuroSoc KG, Beraterorganisation für Europäische Fragen

„Herzlich willkommen, liebe Europaparlamentarier und Mitglieder des Rates und der Kommission,es muss neu darüber entschieden werden, wie es gelingen kann, die CO2-Emissionen Europas spürbar zu reduzieren und in welchem Umfang die Automobilindustrie ihren Beitrag dazu leisten sollte. Es ist ihre Aufgabe, zu einer guten Entscheidung zu kommen, die sowohl dem Binnenmarkt als auch dem Umweltschutz dient.“

Da muss man dann doch erst einmal schlucken. Heute kommen keine Peanuts auf den Tisch. Es geht um eine handfeste politische Diskussion mit Auswirkungen auf weite Teile der Erde und ihrer Bevölkerung. Sicher, was wir heute beschließen, wird nicht wirklich Bestandteil der Klimapolitik für die nächsten Jahre sein; die „richtigen“ Politiker in Brüssel haben ihre Entscheidungen bezüglich des Themas vor einiger Zeit bereits gefällt. Zum einen jedoch wissen wir das zu dem Zeitpunkt noch gar nicht und zum anderen merkt man schnell, dass dem komplexen Entscheidungsfindungsprozess zwischen den verschiedenen Organen der Europäischen Union durchaus mit Respekt zu begegnen ist.

Nicht zuletzt äußerte sich dies in der Kleidung, die am 8. September, dem Tag der Verhandlungen von allen Teilnehmern getragen werden sollte. Die Jungs im Anzug, die Mädchen nach einem etwas weniger strengen Muster gekleidet, teilten sich im Wesentlichen auf das Parlament und den Ministerrat auf. Ein Mädchen vertrat die Kommission. Jeder hatte ein eigenes, streng geheimes Rollenprofil mit Angaben zur Person, politischer Gesinnung und Position bzw. Toleranzrahmen bezüglich der zu diskutierenden Streitfragen. Ich zum Beispiel war Frau de Raadt. Als konservative Umweltministerin, die stets um konstruktive Diskussionen und Kompromisse bemüht ist, vertrat ich die Niederlande im Ministerrat.

Auf realitätsnahe Weise versuchten wir, eine Verordnung hinsichtlich der Eindämmung der durch Automobile verursachten CO2-Emissionen zu beschließen. Wie in der Realität scheiterte das natürlich beim ersten Versuch – bzw. in der ersten Lesung, als die Kommission zunächst einen ausgearbeiteten Vorschlag anbrachte, den das Parlament ablehnte und der Ministerrat auch zu keiner Einigung gelangen konnte. Viel zu gegensätzlich waren die Rollenprofile. Die einflussreichen Industrienationen blockierten sich gegenseitig mit utopischen Forderungen in die eine oder die andere Richtung, die kleineren Staaten hatten nur wenige Chancen Eindruck bei ihren Kollegen zu schinden, ihre Stimmgewalt reichte nicht aus, um ernst genommen zu werden. Dass die Stimmung mit der Zeit ziemlich gereizt war lag auf der Hand. Eigentlich hatte keiner der Teilnehmer eine ernsthafte Beziehung zu dem Land, was er vertrat, oder dessen Ansichten. Trotzdem verlangte der Stolz ebenso wie die Kampfeslust der Mitstreiter nach einer knallharten Verhandlungsposition.

Irgendwie zogen schließlich doch noch alle an einem Strang. Nachdem Vorschläge für eine Verordnung mehrmals zwischen Kommission, Parlament und Ministerrat hin und her geschoben worden waren, waren zum Ende der zweiten Lesung alle um eine Einigung bestrebt. Drei Stimmen hätten gereicht, um diese Einigung zu kippen und den Vermittlungsausschuss als letzte Instanz einzuberufen, doch es sprach sich – vielleicht doch etwas überraschend – knappe Mehrheit für den im Raum stehenden Kompromiss aus. Die Reduktionsziele wurden bis 2019 gestaffelt, um schließlich einen Wert von 105 g CO2/km zu erzielen; dies zu erreichen, sollte der Zusammenschluss mehrerer Konzerne zur Bildung eines gemeinsamen Durchschnittswert möglich sein. Jedes Gramm pro Kilometer, was den vorgeschriebenen Wert übersteigt wird mit 47,5€ Strafe belastet. Am Ende waren alle geschafft. So viel Überzeugungskraft ist selten nötig. Ein Tag wie dieser sensibilisiert auf jeden Fall für die Komplexität von Politik.

Vielleicht lässt uns diese Erfahrung in Zukunft seltener über unsere gewählten Vertreter schimpfen. Was wäre überhaupt gewesen, hätten wir keine Einigung erzielen können? „Alle Materialien wären in den Papierkorb gewandert: Schluss, aus, basta!“ erklärt Jonathan Hart, Betreuer des Europaplanspiels. Frustrierend, oder? Aber das passiert in der wirklichen Politik eben auch.