Mi, 25.11.2009

EU-Vortrag – Referent: Michael Gahler, Minister des Europäischen Parlaments

„Was lange währt, wird endlich gut“

Man konnte es Herrn Gahler regelrecht ansehen, wie erfreut und erleichtert er angesichts des lang erwarteten und jetzt kurz bevorstehenden Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon war. Verständlich, denn immerhin räumt die neue Verfassung dem Parlament weitere Freiheiten und Rechte ein. So ist nun beispielsweise in Bereichen wie der Inneren Sicherheit keine Einstimmigkeit mehr erforderlich und auch in der Agrarwirtschaft gewinnt das Parlament an Macht. Und, nicht zu vergessen, das Parlament war maßgeblich an der Entwicklung beteiligt.

Aber es war ein langer Weg bis zur Einführung:Laut Gahler war man schon bei der Verabschiedung des Nizza-Vertrags unzufrieden, weswegen man beschloss die Ausarbeitung einer neuen EU-Verfassung anderes anzupacken. Es wurde ein Konvent gebildet, speziell gewählte Politiker tagten öffentlich und diskutierten über die Vorgehensweise. Aber auch die Bürger wirkten mit, indem sie in eigenen Konventen zusammentrafen und ihre eigenen Vorschläge ausarbeiteten.

Der Vertrag resultierte somit größtenteils aus der Vorarbeit der Abgeordneten und wurde anschließend im Jahr 2003 dem Ministerrat vorgelegt. Darauf folgten die Abstimmungen in den Mitgliedsländern. In den repräsentativen Demokratien wie Deutschland bekam man davon nicht sonderlich viel mit, da die Entscheidung nicht an die Bevölkerung weitergegeben wurde. Zudem hätte es in Deutschland schon immer eine „große Koalition für Europa und seine Verträge“ gegeben. In anderen Ländern hingegen wurde per Volksentscheid abgestimmt, was letztendlich dazu führte, das es in Frankreich und den Niederlanden 2004/5 zur Ablehnung kam.

„In Frankreich lag es an der schlechten Regierungsarbeit“ und in Holland war die „allgemeine schlechte Stimmung“ Schuld. Das wiederum hätte eine eher Anti-EU-Gesinnung zur Folge gehabt.An diesem Punkt verwies der Referent auf die Wichtigkeit von Vertrauen zur Regierung und zur Politik in einem Land. Denn wenn die traditionelle Politik versage, würden nicht nur sämtliche Vorschläge der aktuellen Regierung hinterfragt, sondern es käme zusätzlich noch zu einer Stärkung der Populisten mit ihren „einfachen Lösungen“.

Daher sei es wichtig, das doch recht abstrakte Konstrukt EU den Bürgern vertrauter zu machen. Somit lautete der Appell: „Die Medien in in Sachen Europaarbeit vorantreiben!“Nach der Ablehnung des Vertrags wurde er unter deutscher Präsidentschaft nach einjähriger „Reflektionsphase“ zur Überarbeitung und Neuauflage. Dieses Jahr erfolgte die Zulassung und Verabschiedung.

Ohne die zahlreichen Verträge einzeln zuzuordnen, könne von einer stetigen Verbesserung der EU seit der Gründung der EG im Jahre 1957 gesprochen werden. Das anfängliche Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes wäre 1992 erreicht worden und seitdem feile man kontinuierlich weiter an der Vervollkommnung.

„Die EU ist demokratischer und transparenter geworden“. Neben dem Machtausbau des Parlaments muss nun der Ministerrat öffentlich tagen, was zum einen die vorgebrachten Vorschläge auf die sinnvollen beschränke und die EU-Arbeit für alle zugänglich mache. Aber auch der Vertrag von Lissabon sei nach Gahler nicht das Non-plus-ultra, sprich es gibt Potential nach oben.

Der nächste Vertrag kann kommen!Und womit müssten wir dann rechen?Die Parlamentarisierung würde ausgebaut werden und den Abgeordneten das Recht der Gesetzesinitiierung einräumen. Die Einstimmigkeit würde zugunsten der qualifizierten Mehrheit abgeschafft und der militärische Haushalt läge dann auch in Händen der EU. Momentan gäbe es nämlich keine gemeinsame Finanzierung militärischer Aktivitäten, was das Ganze vollkommen undurchschaubar macht.Aber: „Die Flexibilität der EU muss gewahrt werden.“

Nach der Abhandlung des „Pflichtprogramms“ stellte sich der Minister den Fragen des Publikums beantwortete ausführlich und ließ auch seine eigene (Partei-)Meinung deutlich werden.Die Frage, nach der Positionierung der EU und ob sie eher als „Juniorpartner“ der „großen Mächte“ USA, China und Russland fungieren solle, wurde sehr optimistisch beantwortet. Er sähe eine „multipolare Welt“ mit vielen starken Mächten und die EU stehe durchaus auf der selben Augenhöhe wie die schon erwähnten Wirtschaftsriesen. Wir hätten den größten Binnenmarkt und somit keinerlei Grund uns vor irgendwem zu ducken.

Bezüglich der Partnerschaften favorisierte er allerdings stark unseren westlichen Nachbarn auf der anderen Seite des Großen Teichs. „Wir müssen die transatlantische Partnerschaft sichern!“ Und zusätzlich müsse man „die Situation nutzen, um gemeinsame Pläne für zukünftiges Handeln, wie z. B. das Vorgehen im Israel-Palästina-Konflikt, auszuarbeiten. Auch anderen Ländern mit vergleichbaren Demokratien bekamen ein klares Ja. In China, Indien, Brasilien und auch Afrika hingegen bestünde vorerst noch die Notwendigkeit der Entwicklung einer (menschen-)angemessen Politik. Die EU könnte an dieser Stelle behilflich sein. Hier machte Gahler auf einen entscheidenden Vorteil der EU aufmerksam. Zum einen würden so die Einzelstaaten gestärkt und zum anderen könnte so Druck auf die angesprochenen Länder ausgeübt werden – beispielsweise in Hinsicht auf geistiges Eigentum.

Auch die Zusammenarbeit mit Russland sei problematisch, da die dortige Demokratie noch zu wünschen übrig lasse. Allerdings sei Russland als Wirtschaftspartner unabdingbar.

Und wie steht es um die Umwelt?Hierbei sei besonders die Gemeinsamkeit wichtig. Es könne schließlich niemand alleine etwas ändern. Die EU verursacht 15 % der weltlichen CO2 – Emission. Würde dieser jetzt um 20 % gesenkt, dann hätte man eine Verminderung von 3 % erreicht. China wäre vermutlich sogar in der Lage, das durch eine Steigerung zu kompensieren.

Doch der Minister wirkte keineswegs siegesgewiss. „Bei der Pazifik-Konferenz, mit unter anderem China uns den Vereinigten Staaten, wurde das Ziel der 50 % Reduzierung bis 2050 vorerst vollständig abgeschrieben.“

Trotzdem müsse erst einmal in der EU angefangen werden, weswegen der Klima-Gipfel in Kopenhagen unbedingt zu einem sinnvollen, verbindlichen Abschluss gebracht werden muss. Danach können die Verhandlungen mit dem Rest der Welt fortgeführt werden.

Zum Aspekt der illegalen Einwanderung, verwies er auf eine langfristige Lösung. „Das ist kein Problem, welches mit einer einfachen, schnellen Lösung gelöst werden kann.“ Die bloße Abwehr der Ankömmlinge bringe genauso wenig, wie die willige Aufnahme. „Es ist wichtig, in den Herkunftsländern Aufklärung zu betreiben und dort für Perspektiven zu sorgen.“ Auch für einen Ausgleich müsse gesorgt werden. Es könne schließlich nicht sein, dass es am Ende in Italien mehr ghanesische Krankenschwestern gibt als in Ghana selbst und dass dort dann ein Mangel herrscht.

„Zum Abschluss noch ein Ausblick: Wie sehen Sie die EU in Zukunft?“Wenn Herr Gahler die zukünftige Entwicklung in die Hand nehmen könnte, dann würde die Einstimmigkeit vollständig abgeschafft und die letzten wirtschaftlichen Probleme würden gelöst. Der Euro würde flächendeckend eingeführt.

Trotz dieser Verallgemeinerung sehe er allerdings keine „Vereinigten Staaten von Europa“. Der Nationalstaat wird auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. „Das Land geht vor Europa.“ Die EU müsse „ in Vielfalt geeint“ und so stark und effektiv tätig sein.

Zudem könnte der gesamten Balkan der Union beitreten – nach Bewältigung der Probleme. Für die Ukraine und die Türkei hingegen sieht er eher schwarz. „Die Ukraine ist wie Russland ohne Rohstoffe“ und bei der Türkei würde es zu einer beidseitigen Überforderung führen. „Wir sollten das gemeinsam machen, was wir gemeinsam besser können und es dabei belassen.“

Dann danken wir für den interessanten und anregenden Vortrag Herr Gahler – vielleicht führt sie Ihr Amt ja noch einmal zu uns…