Do, 06.11.2014

Ein Haufen Chopin – Theater aus der JVA Wiesbaden auf dem Hansenberg

Zugegeben, unter dem Titel „Ein Haufen Chopin – Ich gebäre ein Genie“ und dem Hinweis, es handle sich um einen biografischen Monolog eines Strafgefangenen im offenen Vollzug, konnte sich wohl niemand etwas Genaueres vorstellen. Dennoch war die Aula am Freitagabend bis auf den letzten Platz besetzt, und zwar auch von externen Gästen.

Dem jungen Mann, der sich das Pseudonym Abu Fynn gegeben hat und der sonst in der Theatergruppe des Gefängnisses in Wiesbaden spielt, gelang es, sein großes Publikum eine Stunde lang in seinen Bann zu schlagen. Mithilfe eines Haufens voll Requisiten, darunter einem Sonnenschirm, einem Klappstuhl und einem Bilderrahmen erzählte er die Lebensgeschichte des polnischen Komponisten Frédéric Chopin, schlüpfte in sieben verschiedene Rollen, spielte ganz dicht am Publikum, schrie, lachte, rollte sich auf dem Boden und bekam am Ende Standing Ovations von allen. Ebenfalls zum Gelingen des Stücks trug die Pianistin Barbara Prieto bei, die den Bühnenmonolog mit zwölf Chopin-Stücken am Klavier begleitete.

Nach der Vorstellung nutzten nicht nur die Schüler, sondern alle Zuschauer gern die Möglichkeit, sich mit dem Darsteller und auch mit Regisseur Peter Protic über das Stück auszutauschen. Die beiden hatten das Konzept und die teilweise improvisierten, teilweise auf Schriften von Frédéric Chopin und Franz Liszt basierenden Texte gemeinsam entwickelt und im Rahmen der Theatergruppe der JVA Wiesbaden bereits gemeinsam Shakespeares Othello und Sydney Lumets Die zwölf Geschworenen gespielt. Außerdem beantworteten die beiden äußerst offen unsere Fragen über das Gefängnisleben.

Die Theatergruppe ist für die Häftlinge vor allem eine Resozialisierungsmaßnahme. Auch der heute dreiundzwanzigjährige Abu Fynn, der im Gefängnis seinen Realschulabschluss nachholte, kam erst 2013 mit dem Theater in Berührung. Das Spielen, so Darsteller und Regisseur, helfe nicht nur gegen die Langeweile, sondern auch dabei, die sonst sehr steilen Hierarchien zwischen den Gefangenen abzubauen. Es sei die beste Möglichkeit, mal aus sich heraus zu kommen – „die Sau rauslassen, so richtig abspasten“. Über die Haft scherzte Fynn, der seit zwei Monaten im offenen Vollzug ist und pro Woche 28 Stunden Freigang hat: „Im geschlossenen Vollzug hocken schon alle ziemlich eng aufeinander – ein bisschen wie hier.“ Auch das WG-Leben mit – dort zehn – Mitbewohnern und einem Sozialpädagogen sei nicht ganz unähnlich. Und der Unterschied? „Man kommt hier rein, und überall steht Sieger, Winner… bei uns steht eher so F...k, P…l.“

Fynn hat sich für die Zeit nach der Haft bei einer Frankfurter Theatergruppe beworben und wurde angenommen. Er hat im Theater ein Ventil gefunden, sagt er, für viele kranke Sachen in seinem Kopf. Ein Ratschlag für uns fällt ihm auch ein: „Na, sauber bleiben!“ Und dazu offen und ohne Vorurteile – als Schauspieler und als Menschen.

Am Ende der Veranstaltung konnten wir uns nicht nur etwas unter dem seltsamen Titel des Stücks vorstellen, sondern hatten von dem Mann mit dem Bürstenschnitt und der beeindruckenden Bühnenpräsenz eine Menge gelernt.