Mo, 13.12.2010

Diskussion mit dem Zeitzeugen der NS-Verfolgung Samuel Mandelbaum: Verfolgung im Faschismus – und trotzdem ein neues jüdisches Leben in Deutschland aufbauen!?

„Kinder, ihr wisst ja gar nicht, wie gut es Euch geht. Ihr lebt in einer Demokratie, einem Rechtsstaat! Und ihr seid frei! Nie wieder darf es so was in Deutschland geben!“

Was „so was“ bedeutet, berichtete uns am 14.12.2010 Herr Samuel Mandelbaum zusammen mit seiner Ehefrau in einem dramatischen Geschichtsgespräch. Bereits zum dritten Mal ist Familie Mandelbaum am Hansenberg, um in einem Zeitzeugengespräch den schwierigen Lebensweg der Familie in der Zeit des Nationalsozialismus darzustellen. Die Gesprächsrunde, die von dem Lehrer Paul Rauh und Frau Wagner-Borna vom Aktiven Museum Wiesbaden organisiert wurde, fand unter dem Titel „Oral History: Zeitzeugen des Nationalsozialismus“ im Rahmen eines Studientages statt.

Herr Mandelbaum, geboren 1928, ist in einem kleinen polnischen Ort zwischen Krakau und Kattowitz in einer jüdisch-orthodoxen Familie zusammen mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Doch mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs und der deutschen Besetzung Polens unmittelbar nach dem 1. Sept. 1939 wurde das Leben seiner Familie zunehmend gefährlich, sie mussten den Judenstern tragen und im Ghetto unter erbärmlichsten Bedingungen leben. Familie Mandelbaum wurde 1943 im Zuge der letzten „Aussiedlung“ endgültig zerrissen: Herr Mandelbaum kam mit seinem Bruder in das Arbeitslager Görlitz, der andere Teil seiner Familie wurde noch am gleichen Tag im nur 18 km entfernten Auschwitz umgebracht.

Ein Aufatmen war für die beiden Brüder erst am 8. Mai 1945 möglich, als russische Truppen das Lager Görlitz befreiten. „Ich war ein Skelett, mein Bruder und ich wogen nur 40 Kilo, wir hielten uns beim Laufen gegenseitig fest.“ Herr Mandelbaum wollte anschließend nach Amerika auswandern und begab sich über diverse Umwege deshalb in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands. Da ihm das Auswandern aber vorerst verwehrt wurde, baute er sich in Wiesbaden langsam eine neue Existenz auf. Zumal er dort seine spätere Ehefrau kennen lernte.

Auch Frau Mandelbaum, die zum ersten Mal in einem solchen Rahmen über ihre Vergangenheit sprach, hatte ein sehr, sehr schweres Schicksal. Aufgrund ihres jüdischen Hintergrundes war ihre Familie sofort nach Kriegsbeginn nach Lemberg in der heutigen Ukraine geflohen. Sie erzählte, es seien erst die Deutschen, die Angst und Schrecken verbreiteten, und dann seien anschließend die Russen einmarschiert. Diese waren mit den Ansässigen zuerst gut umgegangen, begannen dann jedoch „die deutschen Verräter“ zu verschleppen.

Frau Mandelbaum wurde – als deutsche Jüdin! - in den Ural verschleppt. Da sie die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, wurde sie als 10-Jähriges Mädchen nun von den Russen als „Deutscher Spion“ für 15 Jahre ins Gefängnis geworfen. Nach 15 Jahren „Kriegsgefangenschaft“ wurde sie erst unter Konrad Adenauer Anfang 1956 als eine der letzten Gefangenen entlassen. Nach ihren Angaben sind 60% der Gefangenen in diesem Lager gestorben.

Herr Mandelbaum verdeutlichte sehr intensiv die Stärke der Auswirkungen des Weltkrieges und betonte mehrfach, dass Deutschland nicht nur militärisch und wirtschaftlich im Ruin lag – besonders moralisch war Deutschlands Tiefpunkt erreicht. Es konnte sich jedoch durch das – nicht immer einfache - Bekennen zu den gemachten Fehlern langsam auch moralisch erholen. Um ein solches Verbrechen in Zukunft zu verhindern, sei es die Pflicht der Zeitzeugen, und vor allem der heutigen Jugend, die Nachwelt zu sensibilisieren.

Wir danken für zwei sehr erkenntnisreiche Stunden lebendigen Geschichtsunterrichts und freuen uns auf den nächsten Besuch!