So, 09.11.2008

Die Klasse 11 b trifft sich mit der Zeitzeugin der NS-Verfolgung Lilo Günzler: „Eine Kindheit als Halbjüdin im Nationalsozialismus“

Bericht vom Gespräch mit der Zeitzeugin der NS-Verfolgung Lilo Günzler
„Lilo Günzler – Kindheit als ‚Halbjüdin‘ im Nationalsozialismus“

Lilo Günzler, geb.Wessinger, wird am 11. Januar 1933 als Kind einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters in Frankfurt geboren. Sie hat einen älteren jüdischen Halbbruder. Im November 1933 werden Lilo und ihr Bruder katholisch getauft, im März 1934 auch die Mutter. „Eine reine Schutzreaktion“ auf die drohende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung nach dem 30. Januar 1933.

In den folgenden Jahren verändert sich das Leben der Familie entscheidend: Die Geschwister der Mutter wandern aus; der Bruder wird 1938 in eine Sonderklasse nur für jüdische Kinder eingeschult. Auf den Vater wird immer wieder Druck ausgeübt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Er hält diesem Druck stand und erreicht sogar, dass der Halbbruder, der in einem jüdischen Waisenhaus interniert wurde, in die Familie zurückkehren kann.

Lilo Günzler hat genaue Erinnerungen an entscheidende Ereignisse ihrer bedrohten halbjüdischen Kindheit in der Stadt Frankfurt: Am 10. November 1938 die brennende Synagoge am Börneplatz, 1939 ihre Einschulung als „Geltungsjude oder Mischling 1. Grades“, den Vandalismus der SA-Horden, die jüdische Wohnungen zerstören, die schweigende Menge.

1943 muss die Familie in ein „Judenhaus“ umziehen, da eine Nachbarin nicht mehr „mit einer Jüdin unter einem Dach wohnen wollte.“ Im Februar 1945 werden die Mutter und der Bruder mit dem letzten Transport nach Theresienstadt deportiert. Der Vater wird zum Volkssturm eingezogen. Das Kind Lilo, 12 Jahre alt, lebt allein. Ende März 1945 wird es von einem Amerikaner aus dem Keller des Hauses befreit: „Das konnte kein Deutscher sein, er war schwarz.“

Im Juni 1945 kehren die Mutter und der Bruder aus Theresienstadt zurück. Sie überlebten. Und wir in Klasse 11b konnten „hautnah“ und sehr authentisch nach erleben, was es bedeutete, in dieser Zeit als „Halbjüdin“ in Deutschland leben zu müssen. Vielen Dank an Frau Günzler für Ihren Mut und Ihre Freude, mit uns über dieses wichtige Thema zu sprechen.