Mo, 26.02.2007

"Der Mensch ist ein Abgrund“ Georg Büchners „Woyzeck“ im hessischen Staatstheater Wiesbaden

Zur Inszenierung des Dramenfragments „Woyzeck“ (Georg Büchner) am Wiesbadener Staatstheater zieht es an diesem 27. 02. 2007 die gesamte Jahrgangsstufe 12; zuvor wurde das Werk im Deutschunterricht eingehend besprochen und interessiert die Schüler nun infolge lokaler Zusammenhänge – Büchner stammt aus Darmstadt – in gesteigertem Maße.

Das Drama „Woyzeck“, das G. Büchner um 1836/1837 verfasste und auf Grund seines frühen Todes nie vollenden konnte, ist nur fragmentarisch erhalten. Die Aussageabsicht des Autors ist somit nicht eindeutig zu interpretieren gleichwie die einzelnen Fragmente in verschiedenster Abfolge denkbar wären, was eine Vielzahl an Inszenierungen und also inhaltlichen Deutungen zulässt.

Dargeboten wird nun die Lebenssituation des Tagelöhners und Soldaten Franz Woyzeck (erschreckend authentisch: Rainer Kühn) während der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts, beeinflusst, gequält und unterdrückt durch seine Umwelt: Der Doktor, verkörpert durch den unübertrefflichen Franz Nagler, benutzt den Protagonisten ob dessen verwirrten Geisteszustandes für naturwissenschaftliche Experimente; der Hauptmann (Uwe Kraus) bringt ihm lediglich spöttische Verachtung und moralische Belehrungen entgegen. Woyzeck aber sind die materiellen Umstände nicht gegeben, sodass er sich überfordert fühlt bei den ethischen Werten, die Doktor und Hauptmann ständig von ihm abverlangen. Einzig bleibt ihm noch seine Freundin Marie (Alexandra Finder findet sich gänzlich in ihre Rolle des „armen Mädels“ hinein), mit welcher ihn ein Kind verbindet; die Bindung scheint allerdings nicht ausreichend stark, denn Marie gibt sich dem in aller Hinsicht begehrenswerteren Tambourmajor (Lars Wellings) hin. Selbstverständlich, Woyzeck erfährt davon und unterliegt in der direkten Auseinandersetzung dem Tambourmajor, sodass ihm in seiner Verlassenheit womöglich kaum ein Ausweg verbleibt als seine Freundin Marie zu töten. Schließlich setzt der Suizid des Hauptdarstellers – Tat eines Verrückten oder rational Abwägenden? – den dramatischen Schlusspunkt unter die durchaus gelungene Inszenierung von Manfred Beilharz.

Die Frage „Warum ist der Mensch?“ ist zentrales Thema eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur: Im Laufe der Wiesbadener Darbietung nämlich existiert der Mensch immer mehr in der Arbeitswelt, lebt für andere und wird durch diese ausgebeutet. Verständlich, dass sich die Charaktere sodann auf niedere, körperliche Bedürfnisse beschränken. Sehr überzeugend stellen dies Sebastian Muskalla und Benjamin Krämer-Jenster als zwei Trunkenbolde dar, die das Sinnbild des Wehrlosen und Gequälten als neuen Menschentyp propagieren. Rainer Kühn als Woyzeck kann nur hinzufügen: „Der Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinunter sieht.“.

Im Bühnenbild findet sich das Motiv jenes Abgrunds wieder, indem sich zwischen zwei schwarzen Wänden eine Rampe mahnend emporhebt; hier wird Woyzeck später abgrundtief herabstürzen. Gemeinsam mit der karg gestalteten Musik soll wohl auf diese Weise die Kritik an den bestehenden sozialen Strukturen zu Büchners Zeit geäußert werden; wichtiges Element dabei wäre eigentlich der Gebrauch der Umgangssprache – hessische Mundart –, was allerdings dem Schülerpublikum von einigen Darstellern nicht überzeugend genug vermittelt wird. Den außerordentlich positiven Gesamteindruck der Hansenberger kann dies jedoch nicht trüben, sodass man, emotional berührt und gleichsam um kulturelles Wissen bereichert, das Staatstheater Wiesbaden verlässt.