Mi, 22.08.2012

Der Abiturjahrgang der ISH diskutiert mit Roland Koch, langjähriger hessischer Ministerpräsident und jetziger Vorstandsvorsitzender von Bilfinger über aktuelle ökonomische und politische Fragestellungen

Den Hansenberg bezeichnet er als seine „Nische, sein Hobby“ und so sei es vor allem immer wieder eine emotionale Angelegenheit, die ihn hierher führe. Ebenso betont er eine Intention, welche mit der Gründung der Schule vor fast zehn Jahren einherging: jungen Menschen früh den persönlichen Kontakt zu Wirtschaftsleuten ermöglichen, um dadurch umfangreiche Einblicke in aktuelle sowie zukünftige politisch-ökonomische Themengebiete erlangen zu können.

Eben in diesem Rahmen stattete der ehemalige hessische Ministerpräsident und derzeitige Vorstandsvorsitzende von Bilfinger, Roland Koch, der ISH einen Besuch ab. Im Vorfeld hatten die verschiedenen Klassen der letzten Jahrgangsstufe, Q3, drei Schwerpunkte für das Gespräch gesetzt: Eurokrise, Bilfinger im Rahmen der Globalisierung und die Frage nach der Legitimation militärischer Interventionen.

Zu jedem Thema hatten sich einzelne Schüler bereit erklärt, einen Kurzvortrag als Input für die sich anschließende Diskussions- und Fragerunde zu halten. So wurden provokative Thesen aufgestellt, die es galt kritisch abzuwägen, doch gerade bei der hoch brisanten Frage nach der Zukunft der europäischen Währungsunion kristallisierte sich eine klare Ambivalenz heraus: Wollen wir eine Fiskalunion, in der starke Staaten die schwächeren auffangen oder einen Neustart mit einer stärkeren Durchsetzungskraft der Konvergenzkriterien im Sinne Maastrichts?

Diese Problematik zeigt auch Roland Koch auf, definiert unsere heutige Krise sogar als eines der komplexesten Politikthemen seit den 1930er Jahren und fordert deswegen eine entsprechende Risikobereitschaft der Europäischen Union. Denn das nicht vorhandene Vertrauen, sowohl auf Makro- als auch Mikroebene, führe zu immer größeren Liquiditätsproblemen. Nicht nur am Beispiel der Lehman-Krise, in deren Folge es zu einem immensen Vertrauensverlust unter internationalen Banken gekommen war, sei deutlich geworden, inwieweit Staat und Wirtschaft ineinandergreifen müssten, um ein gegenseitiges „Überleben“ gewährleisten zu können. Die Folge: eine Bankenkrise entwickle sich in den meisten Fällen zu einer Staatenfinanzkrise. Und auch momentan erledigten europäische Geldinstitute ihren Liquiditätsausgleich nachts eher bei der EZB, anstatt das Geld untereinander zu verleihen. Den zweiten Risikopunkt bildeten Staatsanleihen. Hier habe der einfache Bürger durch politische Debatten bereits früh den Mut und damit ebenfalls das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeiten ganzer Staaten verloren, sodass diese oftmals nicht mehr in der Lage seien, ihre Kredite zurückzahlen zu können. Und auch hier das potentielle Szenario: der Staat gehe pleite. Darauf aufbauend argumentiert Koch, wie mit dem Fall Griechenland umzugehen sei. Eine erste Herausforderung ergebe sich durch die Kombination aus ethischen und ökonomischen Fragen. Für ihn stehe jedoch fest, dass Griechenland durch seine bereits viel zu hohe Verschuldung ohne den Euro noch größere Probleme hätte, ja, dass dadurch vielleicht sogar die demokratischen Verhältnisse auf der Kippe stünden. Doch für eine langfristige Rehabilitation müsse Griechenland an die Grenzen des „Schmerzes“ gehen. Somit distanziert sich Koch auch von Optionen wie etwa dem Nordeuro. Damit würden die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten soweit auseinander klaffen, dass eine europäische Einheit nicht mehr garantiert werden könne. Eine Fiskalunion sei zwar ein Synonym für den Souveränitätsverlust von Staaten und bliebe weiterhin eine Vision, doch es sein mit Teilschritten in diese Richtung zu rechnen. Dass ein Spannungsfeld bestehen bleiben werde, sei gewiss, doch es gelte zu entscheiden, ob man dieses aushalte oder jemanden rausschmeiße.

Dabei müsse sich auch der individuelle Bürger – und Europa sei allein durch seine Historie und die unterschiedlichen Kulturen ein Kontinent des Individualismus –fragen, wie er in diesem Europa leben möchte.

Interesse auf Seiten der Schüler bestand auch an Koch als Wirtschaftsvertreter, den er durch seine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger SE nun einmal verkörpert. Wie sehe er die Position des Unternehmens in Rahmen der Globalisierung? Gebe es Grenzen und wenn ja, welche? Wie würde man mit einem Scheitern der Währungsunion umgehen? Von der Politik in die Wirtschaft oder von der Wirtschaft in die Politik – welche Vor- und Nachteile würden sich ergeben?

In erster Linie betonte Koch die Diversität des Unternehmens als Grundlage des Erfolgs. Bilfinger sei in verschieden Bereichen tätig und könne daher genauso auf die Chemie- oder Ölbranche wie auf die Kraftwerkentwicklung zurückgreifen. Es müsse hierbei jedoch darauf geachtet werden, dass jedes Feld in sich wirtschaftlich bliebe, um sich weitestgehend unabhängig von kleinen, konjunkturellen Schwächen machen zu können. Dergleichen heiße das langfristige Ziel, die Wirtschaftskraft gleichmäßig auf die drei Kontinente Europa, Nordamerika und Asien zu verteilen, um „weitermachen zu können, wenn der eine mal mit Schnupfen im Bett liegt“.

Abschließend behandelte der letzte Themenblock eine der größten, momentanen Debatten innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft: Wie ist mit den massiven Menschenrechtsverletzungen – gerade in Libyen und Syrien in Folge der Arabellion – umzugehen? Und inwieweit sind militärische Einsätze zur Wahrung des Friedens gerechtfertigt? Laut UN-Charta ist die Einmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten verboten; es geht um die Wahrung von Souveränität. Der Grundsatz der „Responsibility to Protect“ soll dies jedoch relativieren. Im Plenum wird ein weiterer Problempunkt deutlich, denn es stellt sich auch die Frage nach dem Wann und Wie. Einige sind der Meinung, man müsse nun handeln, anstatt zu warten und zwar einheitlich mit einer klaren Strategie. Koch appellierte jedenfalls auch an die Fehlbarkeit des Menschen, wenn es darum ginge, den Einsatz von Gewalt zur Vermeidung von Gewalt legitimieren zu wollen. Hinsichtlich des Wunschs nach Einigkeit, müsse man sich zwangsläufig mit stark divergierenden geopolitischen Interessen der verschiedenen Staaten befassen und dies sei nur ein Teilgebiet der äußerst komplizierten sowie konfliktgeladenen Situation. Noch nicht einmal innerhalb Syriens herrschten klare Verhältnisse vor, der einzige Konsens der Opposition bestünde darin, dass sie nicht Assad wollten. Ansonsten gebe es zu viele religiös geprägte Konflikte, die auch nach dem absehbaren, endgültigen Scheitern Assads eine schnelle Einigung unwahrscheinlich machen würden. Zumindest sollte die Internationale Staatengemeinschaft Syrien seine Grenzen aufzeigen, wie Obama beispielsweise seine rote Linie durch den Einsatz von Chemiewaffen definierte. Sie müssten somit Syrien klar machen, dass sich mit Menschenrechtsverletzungen trotz Souveränitätsgrundsatz in der UNO keine Politik betreiben lasse.

Wie immer waren nach Ablauf der anderthalb Stunden noch viel zu viele Fragen und Diskussionsansätze offen, doch alle Anwesenden erlebten einen hoch kompetenten, authentischen und locker gestimmten Herrn Koch als Gesprächspartner, der offen auf Fragen antwortete und dabei ganz neue Impulse mit auf den Weg gab. Dafür bedanken wir uns als diesjähriger Abiturjahrgang herzlich und hoffen, dass Sie den Hansenberg, Ihre „Nische“, weiterhin beehren werden.