Do, 03.05.2012

Besuch des Literaturarchivs in Marbach am Neckar

Auf Knopfdruck rattert es vor uns wie eine Anzeigetafel am Flughafen. Wir sind verdutzt. Was hat es damit auf sich? Befinden wir uns wirklich in einem Museum?

Es ist ein Poesieautomat, dessen Lettern Wörter bilden, welche sich zu Versen zusammensetzen, sodass in ihrer Gesamtheit eines von 1036 möglichen Gedichten erscheint. Faszinierend. Und dies alles geschieht in einem Gebäude, das ausschließlich für die Literatur entworfen wurde, an einem Ort, der vielen unbekannt vorkommen mag und doch einzigartige Dinge beherbergt, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Willkommen im Literaturarchiv Marbach.Im Rahmen eines Studientages fuhren wir morgens mit unserer gesamten Klasse Q2c und unter Leitung unserer Deutschlehrerin Frau Schwindt in Richtung Marbach am Neckar nahe Ludwigsburg. Wenngleich die Fahrt eine Menge Zeit in Anspruch nahm, so sollte der dortige Kafka-Workshop als Einstieg sowie Vorbereitung für das im Unterricht zu behandelnde „Das Urteil“ dienen.

Nach einigen Grundinformationen hinsichtlich der Entstehung der Institution, wurden wir über einen kleinen Halt am ratternden Poesieautomaten in das eigentliche Archiv geführt. In einem nur gering beleuchteten Saal und in Glasvitrinen aufbewahrt, befanden sich sämtliche Manuskripte, Bücher und Briefe von zahlreichen, bedeutenden, deutschsprachigen Dichtern bzw. Schriftstellern – von Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart. Die Workshop-Leiterin verschaffte uns einen Eindruck von dem immensen Umfang der in Marbach anzutreffenden Originale, die längst nicht alle ausgestellt werden. Neben eigenen Werken waren auch simple Lebensgegenstände aus dem Alltag der Persönlichkeiten Deutscher Literatur zu bewundern. Doch dies alles hat seinen Preis. Wie wir erfuhren, bot Marbach drei Millionen Euro für Kafka-Manuskripte und befinde sich immer noch in einem Streit mit dem Staat Israel um weitere Nachlässe.Denn Franz Kafka war ein in Prag geborener, deutschsprachiger Jude. Er lebte von 1883 bis 1924, studierte Jura und arbeitete später bei einer Versicherung. Dies ließ ihm genug Zeit, um sich der Schriftstellerei zu widmen. Doch sein Leben war bestimmt von Selbstzweifeln, einem äußerst dominanten Vater und zahlreichen scheiternden Beziehungen. Erst nach seinem Tod veröffentlichte sein Schriftstellerkollege Max Brod die Werke, welche weltweite Anerkennung erlangten. Dabei bieten seine Erzählungen und Romanfragmente ein breites Spektrum an Interpretationsansätzen. Sein skurriler Stil, zugleich durchzogen von sprachlicher Nüchternheit und unvergleichlichen Inhalten, prägte sogar ein eigenes Adjektiv: „kafkaesk“

Auf den Geschmack dieses kafkaesken Schreibstils kamen wir dann beim Lesen oder auch Entziffern von Kafkas Manuskripten. Deutlich wurde hierbei der Entstehungsprozess von literarischen Werken, gekennzeichnet durch Streichungen und bedeutsamen Umformulierungen. Der Unterschied zwischen „gefangen sein“ und „verhaftet werden“? Ein großer!Ein wenig erschöpft vom vielen Schriftentziffern traten wir gegen Nachmittag die Heimreise in den Rheingau an und sind nun gewappnet für die kommende Auseinandersetzung mit Kafkas „Das Urteil“.