So, 17.05.2009

Abschied vom Hansenberg: Nachlese von Lea Pfeiffer

Wir haben‘s getan, zum allerersten Mal.

Wir haben uns gewagt, wir sind ausgebrochen aus unserem behüteten Zuhause, wir haben uns in eine ungewisse Welt gestürzt und etwas Neues ausprobiert, kurz: wir haben uns dem Hansenberg ergeben. Er wollte uns und wir sind hingerannt. Ich konnte eine Frage nie so recht beantworten: „Warum bist du denn auf einem Internat?“

Im Vorhinein konnte ich das nicht beantworten und auch heute kann ich nur sagen, dass ich Lust auf etwas Neues hatte und es auch nicht schlecht fand ein Jahr früher mit der Schule abschließen zu können…ja, aber jetzt wo ich an der Schwelle zum Leben an sich stehe, kann ich ja einmal den Versuch wagen in Worte zu fassen, warum ich auf dem Hansenberg geblieben bin. Denn selbst Hansenberger sind, auch wenn es nicht immer den Anschein hat, freie Menschen und können jederzeit zurück ins gewohnte Leben verschwinden. Könnten. Jedoch begegneten mir auf dem Schloss mitten im Weinberg prinzipiell zwei unvergessliche Dinge: Sozialkompetenz und Hansenbergspirit (trotz aller Gegengerüchte: ganz leer ist der noch nicht)

Zur Sozialkompetenz: Wir sind Menschen, klar, Teenager, und eigentlich nicht anders als andere Artgenossen. Aber etwas haut mich im Nachhinein doch sehr um: Eine gewisse Tiefgründigkeit, Freundschaften, die eher an Liebe grenzen als an Bekanntschaft, Menschen, die ich mittlerweile eher zu meiner Familie zähle als zu meinem Bekanntenkreis. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, wir sind keine eingeschworene Hippie-Gemeinde mit freier Liebe und dem ganzen Tamtam, und ich bin auch nicht mit jedem gut Freund, der ein Hansenberger ist oder war, aber das Leben am Berg schweißt zusammen und lässt einen die Menschen mit anderen Augen sehen. Viele sind nicht nur schultechnisch engagiert, sondern erkennen die Bedeutung der Gemeinschaft, sind bereit etwas dafür zu tun, und das Verständnis oder zumindest die Bereitschaft für Probleme und komische Situationen Verständnis aufzubringen, sind einfach gegeben. Ich erinnere mich an viele Krisensitzungen in meiner WG, an Punkten an denen andere Freundschaften wahrscheinlich einfach zerbrochen wären, und mir sind Menschen begegnet, die mich wirklich verändert haben, denen ich in meinem Herzen einen riesigen Platz gemacht habe. Das habe ich unglaublich gerne getan und es wahrscheinlich auch gebraucht. Das Wort Sozialkompetenz belege ich als Hansenberger mit einer gewissen Ironie, da von oberster Stelle recht exzessiv auf deren Existenz am Berg hingewiesen wird. Vielleicht so exzessiv, dass man eher vermutet dass sie sehnsüchtig herbeigewünscht wird, obwohl sie nicht in größerem Maße vorhanden ist als anderswo. Doch hey, sie ist einfach da. Beim einen mehr, beim anderen weniger, und wenn ich mal ganz frei heraus sage: Sozialkompetenz als Wort nervt mich, aber „Interesse an Menschen“ ist hier oben sehr ausgeprägt.

Zum Hansenbergspirit: Der letzte Abijahrgang traf bei seinem Abischerz die Aussage, der Spirit sei alle. Meine These ist ja, dass das maßgeblich so suggeriert wurde, um einen provokanten Slogan für das Motto zu haben. Gewiss, man kann darüber streiten, inwiefern sich der Zusammenhalt und alles seit dem ersten Jahrgang verschlechtert haben, aber ich kenne dieses Gefühl einfach noch. Der vierte Jahrgang, meiner also, verfügt noch über genug Sprit, um die Zielgerade zu überqueren. Wir haben genügend Leute, die bereit sind, die Initiative zu ergreifen, Events zu organisieren, die Schüler zu vertreten und einfach nur den Alltag ein bisschen zu verschönern. Es gibt solche Tage, an denen man sich fragt: Warum ist denn hier nichts los? Aber es gibt verdammt nochmal immer die Möglichkeit etwas zu verändern. Menschen sind da, Angebote sind da, Freiheiten sind (bis zu einem gewissen Grad) da und unter dem Punkt Sozialkompetenz habe ich auch schon auf die Art des allgemeinen positiven Umgangs hingewiesen. Unser werter Schulleiter hat ein tolles Motto: Nicht wegschauen. Auch dieses wird oft mit einer gewissen Ironie zitiert und erzeugt mitunter schon fast einen gewissen Brechreiz, wenn es auf jedes weggeworfene Kaugummipapier projiziert wird. Jedoch ist mir klargeworden, dass es wirklich bedeutsam ist und bei Kleinigkeiten zum Tragen kommt. Beim „Nicht Wegschauen“ geht es um Rücksicht und Verantwortungsgefühl. Zwei Grundvoraussetzungen für das Zusammenleben auf so engem Raum. In der Tat muss darauf geachtet werden, dass diese Attribute nicht vergessen werden und abhanden kommen und ja, das fängt bei herumliegendem Müll an.

Die Kritik an allem Möglichen wird bei uns sehr stark ausgelebt, nicht nur von Schülerseite, nein, auch Lehrer und Sozialpädagogen Leben ihren Spaß an Kritik sehr freudig aus. Oft bekommt man zu hören dass der Umgang mit den „Erwachsenen“ sich maßgeblich verschlechtert habe und oft Vertrauen missbraucht werde. Ich erinnere mich noch an den Beginn unserer 12. Klasse, als die Schülerschaft große Einschränkungen im samstägigen Ausgang über sich ergehen lassen musste, da häufiger und offensichtlicher als früher Alkoholmissbrauch betrieben wurde. Enttäuschung wurde kundgegeben und viele waren erzürnt. Die Einschränkungen am Samstag sind meines Wissens immer noch in einem gewissen Rahmen vorhanden, mittlerweile sind sie jedoch normal und alle haben sich damit arrangiert. Die Teenager haben eine gewaltige Standpauke erhalten und scheinen daraus gelernt zu haben. Irgendwie finde ich das auch ein Stück weit bemerkenswert und aus diesen Vorfällen sind wir alle ein wenig vernünftiger und verantwortungsbewusster herausgegangen. Also: Kritik und sonstige Kundgebungen waren durchaus berechtigt, aber wenn wir perfekt wären hätten die SozPäds einen ziemlich überflüssigen Job, müssten entlassen werden und müssten ihre Familien wahrscheinlich jämmerlich verhungern lassen.

Also, zu einer wirklichen Begründung meines Internatsschülerdaseins kann ich nicht kommen. Ich weiß nur dass ich vor einer halben Stunde so über die Homepage geflogen und auf das Gedicht von TP Limmer gestoßen bin, in dem er die Menschen, die Erfahrung und den Zusammenhalt herausstellt. Es hat mich einfach melancholisch gestimmt, immerhin stehe ich nun an dem Punkt, an dem er stand, als er das Gedicht verfasst hat, und ich habe mich sehr davon berührt gefühlt, sodass ich nun auch einen gewissen Nachlass verfassen wollte. Eine kleine Ode ist es ja schon geworden, aber ich finde das muss auch mal sein. Ehrlich gesagt freue ich mich riesig auf den Tag unserer Entlassung, der in ca. fünf Wochen bevorsteht, denn irgendwann ist es auch genug und es muss wieder etwas Neues her. Doch die drei Jahre, die man in Johannisberg verbringt, sind da ziemlich gut kalkuliert, denn es ist genug Zeit um eine Menge mitzunehmen, aber nicht so viel Zeit dass man wirklich ernsthaft sagen kann: ich will einfach nur noch weg! (Ich gebe zu, das habe ich auch oft gesagt, aber wirklich, wirklich ernst gemeint war es nie)

Also liebe Leute, bevor ich meinen Gedankenerguss in die Ekstase steigere und am Ende doch noch Worte verliere, die meine Lob und Preisrede zerstören, schließe ich hiermit ab und freue mich auf die bevorstehende Abschlussfahrt mit dem 4. Jahrgang, meinem Jahrgang, unserem Jahrgang.Auf dass der Sprit wirklich noch reicht!