Mo, 26.01.2015

„70 Jahre danach…“ Gedenktag der Internatsschule Schloss Hansenberg zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch Truppen der Roten Armee am 27. Januar 1945

1. Die Befreiung von Auschwitz am 27.Jan. 1945

Dr. Martin Grosch und Paul Rauh begannen mit einer gegliederten historischen Aufarbeitung der Daten der Geschichte von 1918 bis 1945. Zur Vorbereitung eines „historischen“ 16 mm Originalfilms, gespielt auf einem „historischen“, d.h. alten Filmgerät, wurde diese geschichtliche Einrahmung gegeben, damit die vielen interessierten Schüler die Hintergründe der NS-Zeit und des KZ-Systems besser verstehen.

Der russische Dokumentarfilm im alten 16 mm-Format zeigt in drastisch-realistischer Härte die unmittelbar ersten Bilder bei der Befreiung der verschiedenen Lager des Vernichtungs-KZ Auschwitz Diese fast nicht glaubbaren, unmenschlichen Aufnahmen des russischen Kameramanns A. Woronuw sind erschütternd. Der Film ist sehr hart, fast unerträglich. Und zeigt die unglaubliche Realität des deutschen SS-Vernichtungs-Lagersystems nahe Krakau. Danach folget ein sehr tiefes Gespräch der vielen anwesenden Schüler mit den beiden Geschichtslehrern zur Einordnung und Verarbeitung der Bilder. Mit einem Gedenken an die Opfer, und als Mahnung an die Gegenwart.

2. Film Gerti Meyer-Jörgensen: Kindheit als „Jüdin“ in Mainz.

Da das vorbereitete persönliche Zeitzeugengespräch mit der NS-Zeitzeugin Lilo Günzler aus Krankheitsgründen ausfallen musste, wurde ein Film über die NS-Zeitzeugin Gertie Meyer-Jörgensen aus Mainz gezeigt. „Hier sind meine Wurzeln – hier ist mein Zuhaus!“ ist Geschichtsunterricht hautnah, mit der inzwischen verstorbenen Zeitzeugin der NS-Verfolgung Gertie Meyer-Jörgensen aus Mainz und Wiesbaden. Sie war am 19. Dezember 2005 zum letzten Male am Hansenberg.

„Der Film beschreibt den Lebensweg der Gertie Meyer-Jörgensen. 1918 in Mainz in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie als geborene Salomon aufgewachsen erlebt sie eine glückliche, unbeschwerte Kindheit. Gertie Salomon besucht das Gymnasium, spielt Tennis, feiert mit den Eltern die christlichen und jüdischen Feste gleichermaßen und hat einen christlichen Freund. „Ich war nicht sehr gut in der Schule, ich hatte andere Interessen.“

„Am 31. Jan. 1933 ging es los, ihr könnt euch vorstellen, 1933, ich war damals 15 Jahre, genauso alt wie ihr heute! Innerhalb von 24 Stunden war alles anders. Der Schulleiter flog raus, der Physiklehrer, ein alter Nazi, wurde sein Nachfolger.“ Und dann erzählt die Geschichtszeugin aus ihrem Leben. Der Vater muss 1936 die Geschäfte seines Schuhladens am Mainzer Domplatz an eine „Arierin“ übergeben, 1936 muss Gertie das Gymnasium verlassen. Sie berichtet von den alltäglichen Hänseleien der „Mitschüler“. „Du alte Judensau, dass du immer noch nicht verreckt bist!“ hört sie 1938 auf der Straße von ehemaligen Mitschülern.

1939/40 wird Gertie 16 Monate von der Gestapo in Stuttgart und Mainz inhaftiert. Nach ihrer Entlassung gelingt es der Mutter, kurzfristig ein Ausreisevisum über Berlin nach Moskau bis Shanghai zu erhalten. Die Mutter sieht ihr Kind Gertie nie mehr wieder und wird kurze Zeit darauf nach Treblinka deportiert. Der Vater vergiftet sich bereits 1939 mit Zyankali, er wollte Deutschland nie verlassen („Ich bin doch Deutscher! Ich habe im Krieg für Deutschland gekämpft!“).

Spannend erzählt Frau Meyer-Jörgensen, z. B. von ihrer Flucht aus Berlin. Berlin–Königsberg–Moskau–Sibirien–Shanghai–Macao–Hongkong. Sie arbeitet als Näherin, Kohlenhändlerin, Masseurin, Lehrerin. 1945 ist Gertie Salomon im Ghetto Schanghais ohne Eltern und Verwandtschaft, heimat- und staatenlos. „Ohne Papiere bist du ein Nichts!“ Sie trifft den norwegischen Kapitän Jörgensen, er heiratet sie zum Schein „für einen Schein!“.

Gertie Jörgensen zieht weiter, Südafrika, Marokko, London. Bis sie 1959 wieder nach Deutschland kommt. „Viele meiner ehemaligen jüdischen Freunde haben das abgelehnt, sie wandten sich von mir ab. Aber ich bin doch von hier!“ In London lernt sie 1961 Paul Meyer kennen, sie heiraten und lebten seit 1970 in Wiesbaden. Gerti Meyer-Jorgensen starb am 21. August 2011 93-jährig in Wiesbaden.

Gertie Meyer-Jörgensen wünscht sich im Film mehr Liebe und Rücksicht unter den Menschen, politische und soziale Gleichheit, und eine tolerante Gesellschaft in der Bundesrepublik. Das ist ihr Aufruf an die Hansenberger Jugendlichen!