Karolin Biebel · 08.10. - 06.11.2022

Niederlande

“So Karolin, how is it called in Germany again? – K: Flatterbrust!” Die beiden Traumachirurgen kriegen den nächsten Lachanfall, während ich vor diesem komplett offenen Brustkorb stehe, beschäftigt mit Atmen und Gucken und Atmen…

Mein vierwöchiges Praktikum in der Unfallchirurgie des Erasmus Medical Centers in Rotterdam war einfach nur fantastisch. Das Universitätsklinikum der Niederlande ist das größte seiner Art Europas, beschäftigt circa 16 000 MitarbeiterInnen und hat sich eben nicht nur darin spezialisiert, kranken Menschen zu helfen und Verletzungen auszukurieren, sondern auch darauf, diese Wissenschaft an junge Interessierte zu lehren. Hiervon wusste ich als hoffentlich angehende Medizinerin sehr zu profitieren.

Die Zeit im Klinikum ging nach meinem Empfinden viel zu schnell um. Vier Wochen, lediglich strukturiert nach den Bereichen Outpatient Clinic, Emergency Department, Operation Theatre und Ward waren geprägt von allerlei Eindrücken, den guten wie den solchen, andere Menschen leiden zu sehen. Ich durfte alles beobachten, immer fragen, manchmal sogar unterstützen. Die Menschen dort, egal ob Pflegekraft, StudentIn oder DoktorantIn arbeiten stets als Team zusammen und in dieses Team wurde ich ganz herzlich aufgenommen. So konnte ich einen realen Eindruck darüber gewinnen, was es bedeutet, im Gesundheitswesen tätig zu sein. Die Aufteilung des Praktikums in die vier Abteilungen hat es mir ermöglicht, den Genesungsverlauf von manchen Patienten gänzlich mitzuerleben. Bei guten Verläufen: Von dem Tag des Unfalls an bis zum Tag der Entlassung.

Es heißt Trauma-Chirurgie, die Chirurgie der Unfälle. Dies wurde mir besonders verdeutlicht, als mein erster Tag mit Stich- und Schusswunden startete. Am zweiten Tag folgten Amputationen und am vierten multiple Rippenbrüche. Doch bedeutet Unfallchirurgie mehr als den gesamten Tag nur in Operationen zu stehen und ganz nach Greys Anatomy Menschenleben zu retten. ChirurgIn zu sein bedeutet auch, Menschen zu betreuen, und zwar vor und nach den Operationen, körperlich wie psychisch. Teils noch Jahre nach der initiierten Verletzung. Und diese Verletzungen können leider jeden treffen, ob jung oder alt. Die Kinderklinik des Erasmus MC habe ich somit auch betreten dürfen.

In diesen vier Wochen habe ich Grenzen kennengelernt, sowohl die des menschlichen Lebens als auch meine eigenen. Denn letztlich besteht auch das medizinische Fachpersonal nur aus Menschen. Mein Praktikum war sehr anspruchsvoll, mental und körperlich. Von 7:30 Uhr bis 17:30 Uhr, jeden Tag unter der Woche. Und meine Stundenanzahl war bereits im Vergleich zu allen anderen MitarbeiterInnen verkürzt. 15 000 Schritte pro Tag, sicher auch, weil ich mich mindestens zweimal in einer Schicht verlaufen habe, aber dennoch – nach diesen vier Wochen gebührt jedem der MitarbeiterInnen mein voller Respekt.

Zu registrieren, dass an mancher Stelle auch die besten Ärztinnen und Ärzte nichts mehr für einen Patienten tun können, ist schwer. Es wird einem gesagt, dass man darin besser würde. Aber einfach wird es wohl nie werden. Das ist auch gut so, andernfalls wird man stumpf und verliert den Respekt vor PatientIn und Verletzung. Ich habe Leute bewusstlos werden sehen - Patienten UND angehendes Personal. Denn die Leistungsansprüche, die in dieser Art von Beruf abverlangt werden, sind sehr hoch. Doch mit Pausen, genügend Essen und einer Tasse Kaffee ist es grundsätzlich machbar. Zusätzlich kann man sich am Wochenende in der ansehnlichen Stadt Rotterdam vergnügen und in der

ländlichen Natur etwas durchatmen.
Dass ich diese Eindrücke erhalten durfte, dafür bin ich den Leuten vor Ort, aber auch dem Hansenberg und dessen Förderverein unheimlich dankbar. Ich kann nun mit großer Gewissheit feststellen: Ja, ich will Medizin studieren.

Ich schließe diesen Bericht von meinem äußerst lehrreichen Praktikum in der wunderschönen Stadt Rotterdams mit einem Zitat eines Arztes ab, welches mich auch durch die heftigen Operationen getragen hat:

„And when the blood splashes all over the patient, everthing´s red, you always have to remember: It is not your blood.“