Do, 28.09.2017

Werner Lahr, Zeitzeuge der NS-Zeit, zu Gast am Hansenberg

Am Donnerstag, den 28.9.2017, nahmen zahlreiche Schüler als Studientagsangebot am Zeitzeugengespräch mit Herrn Werner Lahr teil. Er war ein „halbjüdisches“ Kind, welches die NS-Zeit und den 2. Weltkrieg hautnah miterlebte. Er kam in Begleitung von Frau Angela Wagner-Bona vom Aktiven Museum Spiegelgasse Wiesbaden, die uns zusammen mit unseren Geschichtslehrern Tobias Brodkorb, Daniil Pakhomenko, Dr. Uwe Hoffmann und Paul Rauh dieses Gespräch ermöglichte. Im Rahmen des Programmes „Erlebte Geschichte“ werden Zeitzeugengespräche mit Schulen organisiert, um zu bewahren, was vergangen ist, und damit Vergangenes besser - auch als Mahnung an die Gegenwart - nachempfunden werden kann.

In Vorbereitung auf das Gespräch schauten wir uns den Film „Der Jude mit dem Hakenkreuz“ (https://www.youtube.com/watch?v=4w5LljZU8xM) an, in dem es um Fritz Beckhardt geht, den Vater von Werner Lahr. Der Film wurde von Lorenz Beckhardt, Enkel von Fritz Beckhardt, unter anderem in Zusammenarbeit mit Werner Lahr und Kurt Beckhardt produziert. Er behandelt das Leben von Fritz Beckhardt, der als Deutscher jüdischer Abstammung ein hochdekorierter Jagdflieger im Ersten Weltkrieg war und als Glückszeichen ein Hakenkreuz auf seinem Flugzeug trug.

Lina Lahr war eine Hausangestellte der Beckhardts und zeugte 1934 mit Fritz Beckhardt ein uneheliches Kind, Werner Lahr. Nach einer anonymen Denunziation wurde Fritz Beckhardt wegen „Rassenschande“ der Prozess gemacht. Herr Lahr zeigte uns eine Kopie des Urteils. Wegen seiner „unbestreitbaren außergewöhnlichen Kriegsverdienste“ lautete das Urteil „nur“ auf ein Jahr und 9 Monate.  Fritz musste ins Gefängnis, kam danach in „Schutzhaft“ und wurde ins KZ Buchenwald gebracht. Später floh er mit seiner Frau über Portugal nach England, wo seine beiden anderen Kinder bereits durch einen der Kindertransporte gelangt waren.

Werner Lahr berichtete uns, dass er alleine mit seiner stets sehr liebevollen Mutter aufwuchs, ohne zu wissen, wer sein Vater war. Man erzählte ihm, sein Vater sei im Spanischen Bürgerkrieg gefallen. Von 1940 bis 1948 besuchte er die Schule, wobei die Schulzeit durch ständige Bombenangriffe während des 2. Weltkrieges sehr kurz war. Eigentlich wollte er noch während des Krieges auf das Gymnasium gehen, aber dafür hätte er seine Geburtsurkunde gebraucht, in der sein Vater als Jude vermerkt gewesen wäre. Er machte  eine Lehre und lernte 3 Jahre Spengler. Durch eine Stiftung konnte er die Abendschule besuchen und schloss diese nach 15 Jahren als Betriebswirt ab. Neben der Arbeit machte er einen Lehrgang bei der REFA und unterrichtete abends an 2 Tagen in der Woche. Später wurde er Geschäftsführer einer Tochterfirma von Blendax, was seine Mutter mit großem Stolz erfüllte.

Während seiner ganzen Kindheit hatte Werner keine Ahnung, wer sein richtiger Vater war. Er erzählte uns, dass er aber gemerkt hätte, dass irgendwas nicht stimmte. Er durfte nicht in die Hitlerjugend, verbrachte die meiste Freizeit mit seiner Mutter und bemerkte, dass sie weinte, wenn sie von den Prozessverhandlungen gegen Fritz Beckhardt zurückkam. Lina Lahr hatte es nicht leicht in ihrem Leben. Sie musste jedes halbe Jahr zur Polizei in ihrem Wohnort Mainz, um Aussagen über Fritz zu machen, und versuchte so gut wie möglich zu verheimlichen, dass Werners Vater ein Jude war. Werner redete mit seiner Mutter nie über das, was vorgefallen war. Auch Linas Vater und ihre Geschwister, die um das Geheimnis wussten, behandelten Lina und Werner bei Besuchen in dem rheinhessischen Dorf, in dem sie lebten, schlecht.  Erst nach dem Einmarsch der Amerikaner änderte sich dies schlagartig.

Nach einer Bemerkung von Lina einige Jahre nach dem Krieg, sie habe seinen Vater gesehen, suchte er im Telefonbuch den Namen seines Vaters. Fritz Beckhardt war tatsächlich 1950 nach Deutschland zurückgekehrt. Werner suchte ihn in seinem Laden in Wiesbaden auf, wurde aber brüsk von ihm abgewiesen und machte keinen weiteren Versuch einer Kontaktaufnahme mehr. Seiner Mutter erzählte er kein Wort davon.

Erst Jahrzehnte später nahm er nach Recherchen im Standesamt Wiesbaden Kontakt zu seinem Bruder Kurt Beckhardt auf. Er rief ihn an und fragte, ob er 1934 in der Rüdesheimer Straße in Wiesbaden gewohnt habe. Kurt bejahte, woraufhin Werner sagte: „Dann bin ich ihr Bruder“. Kurt war anfangs noch verhalten, aber sie trafen sich dann doch im Alter von 70 und 77 Jahren und hielten engen Kontakt bis zu Kurts Tod im letzten Jahr.

Am Ende des Gespräches kamen wir noch auf aktuelle Themen zu sprechen. Herr Lahr sagte, er sei erschüttert über die Bundestagswahl vom vergangenen Sonntag gewesen und betonte, dass so etwas wie in der NS-Zeit wieder passieren könne. Der Mensch hätte sich in seiner Gesamtstruktur nicht geändert und es bräuchte nur einen Auslöser. Danach gaben noch einige Schüler ihre Meinung zu dem Thema ab und sicherten zu, dass ihnen der Erhalt unserer Demokratie sehr am Herzen liege.

Uns hat das Gespräch sehr gut gefallen. Es war sehr aufschlussreich. Wir bedanken uns bei Frau Wagner-Bona, unseren Geschichtslehrern und natürlich vor allem bei Herrn Lahr.

Tara Urbach und Lotta Platen, Jahrgangsstufe E1