Do, 01.02.2018

Diskussion und Vortrag zur Zukunft der EU mit Volker Hoff, hessischer Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten a.D.

"Zerbricht die EU?" Am Donnerstag, dem 01.2.2018, besuchte Volker Hoff, ehemaliger Hessischer Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten von 2006 bis 2009 und langjähriger Landtagsabgeordneter, den Hansenberg, um vor interessiertem Publikum zu diesem Thema einen Vortrag mit anschließender Diskussion zu halten.

Zum Einstieg erzählte Hoff von seiner persönlichen Biographie, die nach der politischen Karriere vom Wechsel in die Wirtschaft geprägt war. Danach startete er mit seinem 45-minütigen Vortrag, an den sich eine ca. einstündige Diskussion mit den Hansenbergern anschloss.

Hoffs Vortrag fokussierte sich auf die Entwicklung der EU und der Rezeption in den verschiedenen Nationalstaaten. Früher seien politische Themen, die Europa betrafen, fast immer negativ konnotiert gewesen. Besonders die Bürokratie, die durch viele EU-Verordnungen eher gefördert als abgebaut würde, sorge oftmals für Unverständnis bei Bürgern und Kommunen, wie er am Beispiel verschiedener Verordnungen erläuterte. Im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und anderen aktuellen Entwicklungen habe die Bürokratie in Brüssel viele große Themen aus den Augen verloren. Zudem hätten in der Vergangenheit nationale Regierungen ihre Interessen auf europäischer Ebene durchgesetzt, um dann die EU-Kommission für unpopuläre Entscheidungen verantwortlich zu machen. Dies sei ein entscheidender Grund für die wachsende Verdrossenheit gegenüber der Europäischen Union. EU-Themen seien auch medial oft negativ konnotiert gewesen - während die nationalen Regierungen besser dagestanden hätten, wodurch die positiven Effekte von Europa in den Hintergrund getreten seien.

Diese Entwicklungen der Vergangenheit stellte er in Kontrast zur heutigen Situation der EU:

Die Folgen protektionistischer Politik stellte Hoff als für alle Beteiligten negativ dar - die gravierendsten Folgen ergäben sich jedoch für die protektionistisch agierenden Staaten selbst. Die nationalistische und protektionistische Politik seitens der USA (America-first-Politik) und UK (Brexit) sorgten dafür, dass die EU in den vergangenen Monaten intensiv zusammengerückt sei und sich ihrer Werte und Vorteile wieder bewusst geworden wäre. Hier hob er (bewusst, ohne Detailfragen und -maßnahmen zu diskutieren) die Bedeutung der Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Université de Sorbonne 2017 hervor. Das Hinterfragen europäischer Strukturen bei Bestärkung des grundsätzlichen europäischen Gedanken sowie die vielfältigen Vorschläge zum Ausbau der EU hätten dafür gesorgt, dass in Europa wieder Diskussion gelebt würde. Macrons Rede hätte die Europäer dazu inspiriert, wieder über die EU, über ihre Perspektiven und ihre Zukunft zu diskutieren und nachzudenken. Diese Diskussion sei neu, aber gleichzeitig elementar für die Legitimation und den Umgang mit der EU in der Bevölkerung.

Auf aktueller politischer Ebene lobte er die hohe Bedeutung, die der EU im Sondierungspapier zwischen Union und SPD auf Bundesebene zugeschrieben wird. Viele politische Themen wie Digitalisierung oder Argarpolitik würden heutzutage nicht in Wiesbaden oder Berlin, sondern in Brüssel entschieden. Besonders im Bundesrat würden in großer Zahl europäische Entscheidungen umgesetzt, auf die kein politischer Gestaltungseinfluss mehr zu nehmen sei.

Auf den Vorschlag von Emmanuel Macron nach einem europäischen Finanzminister reagierte er gespalten, verwies jedoch auf die bestehenden Strukturen und die politische Unabhängigkeit der EZB. Die Idee einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik lobte er besonders in Hinblick auf das wohl zurückgehende Engagement der USA in Europa. Dass alle europäischen Staaten eine eigene Rüstungspolitik und -ausstattung verfolgten, sei in jeder Hinsicht ineffizient und teuer. Besonders in der Flüchtlings- und Asylpolitik gebe es keine Perspektive ohne eine gemeinsame europäische Lösung. Nationale Herangehensweisen würde nicht helfen; an einer Europäisierung der Asylpolitik führe kein Weg vorbei, gleichwohl die rechtlichen Hürden dazu hoch seien. Auch in der Klima- und Umweltpolitik sprach er sich für eine europäische Lösung aus. Nationale Maßnahmen und Ziele würden auf Dauer nicht helfen, die weltweiten Probleme und Gefahren durch den Klimawandel zu lösen.

Zum Thema Rechtspopulismus sagte Hoff, die Rückkehr zu nationalen Gedanken und Strukturen sei auf kurze wie auf lange Sicht nicht sinnvoll und zielführend. Gleichwohl dürfe Political Correctness nicht dazu führen, offensichtliche Dinge und Probleme in der Gesellschaft aus Sorge vor den Konsequenzen nicht mehr auszusprechen. Er forderte, Rechtspopulismus nicht mit politischen Tricks und Kniffen zu begegnen, sondern mit offenem Dialog - im demokratischen Diskurs seien Populisten besiegbar. Eine Demokratie sei stabil - und müsse "auch Kotzbrocken ertragen". Einer komplizierter werdenden Welt dürfe man nicht vereinfachend begegnen - diese Lüge sei die Kernessenz des Populismus. "Diese Welt ist zu komplex, um sie mit Ja oder Nein zu beantworten." Hoff plädierte für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, in dem manche Länder eine Vorreiterrolle einnehmen können; und andere Länder deren Konzepte und Maßnahmen übernehmen können; gleichzeitig grenzte er sich klar von einem "2-Klassen-Europa" ab, das einen "Elitenclub" in der EU darstellen würde. Stattdessen sorge ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten für zunehmende Mobilität, Innovation und mehr Progressivität in der EU.

In der anschließenden Diskussion wurden verschiedene interessierte, aber auch kritische Fragen zu den Themen Brexit, Griechenland-Krise, Populismus sowie den mittel- und langfristigen Perspektiven für die Europäische Union gestellt. Insgesamt bedanken wir uns sehr herzlich bei Herrn Hoff für den spannenden, aktuellen und anschaulichen Vortrag und den hochinteressanten Einblick, den er uns Hansenbergern aufgrund seiner jahrelangen politischen Erfahrung bieten konnte.

Bero Gebhard, Q2